Heidi, Heidi

■ Die taz recherchierte: Deine Welt ist die Weser. Vermarkte dich!

Den Bremer Marketing-Experten rauchen die Köpfe. Wie lockt man die zahlungskräftigen Gäste in die Stadt? Das Musical war ja nicht so der Hit. Hier ein bescheidener Vorschlag: Wie wär's mit „Bremen und Heidi“? Nicht schon wieder Alpenromantik – wird da mancher stöhnen, gibt's doch schon auf der Werbeplane vor dem Rathaus. Und selbst die alpen-hungrigsten Japaner lassen sich mit diesem Bergpanorama nicht in die norddeutsche Tiefebene locken.

Vielleicht kommen die Asiaten ja deshalb: Gleich um die Ecke, bei der Kirche Unser Lieben Frauen, gab es einst einen Pastor namens Cornelius Vietor. Dieser Mann Gottes hatte nicht nur gute Kontakte zu übersinnlichen Sphären, sondern auch nach Zürich. Seine vier Töchter schickte Pastor Vietor als Au-pair-Mädchen zu einer befreundeten Familie in die Schweizer Metropole. Dort lernte er Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Johanna Spyri kennen, die später als Autorin der Heidi-Geschichten weltberühmt wurde. Dass die Erfindung von Heidi, dem Geißen-Peter und dem Alm-Öhi dem pietistischen Mann zu verdanken ist, fand der Bremer Universitätsprofessor Dieter Richter heraus. In der Schweizer Fachzeitschrift „Librarium“ hatte der Literaturwissenschaftler 1988 die engen Bande zwischen Spyris Familie und dem „Bremerhaus“ in Zürich aufgezeigt, wo sich eine hanseatische Familie niedergelassen hatte. Richter weist nach, dass Spyri von dem Bremer Pastor zum Schreiben ermuntert wurde, um sie von ihren Depressionen zu befreien: „Je öfter und je länge ich sie sah, desto gewisser wurde es mir, daß ihr ein Talent zu schriftstellerischer Thätigkeit von Gott gegeben sei, das sie nicht im Schweißtuch vergraben dürfe.“ Nach langem Sträuben schickte Spyri ihre erste Geschichte, „Ein Blatt auf Vroni's Grab“, an den Vietor, der sie in einem Bremer Verlag veröffentlichte. Die Verkaufserlöse flossen in die Kasse des „Besuchsvereins“ der Gemeinde Unser Lieben Frauen, um „allerlei geistliche und leibliche Noth zu lindern“. Zwar kostete die kleine Schrift in Bremen nur sechs Grote (das waren 30 Pfennig). Doch mit den Erträgen von drei weiteren Geschichten kamem im Laufe der Jahre 1.000 Mark für die Armenpflege des Wohltätigkeitsvereins zusammen.

Warum das Japaner interessieren sollte? Seit der Roman 1920 ins Japanische übersetzt wurde, ist die Sehnsucht der Japaner nach Lederhosen, schneebedeckten Bergen und Murmeltieren stark von Spyris Büchern beeinflusst worden. Heidi-Mangas und diverse Heidi-Devotionalien gehen in Japan weg wie warme Germknödel. Auch die Heidi-Fernseh-Zeichentrickserie, die seit 1974 Kinderaugen größer werden lässt, stammt aus japanischen Landen. Die erste Folge dieser Produktion, „Heidi in den Bergen“, ist im Oktober bundesweit in den Kinos angelaufen. Nur in Bremen nicht. Geht man so mit einem potentiellen Marketing-Knüller um? Immerhin überlegen die Macher der Schauburg, den neuen Heidi-Spielfilm von Markus Imboden, der den Roman so radikal in die Gegenwart gebeamt hat, dass alle Figuren hochdeutsch sprechen, im nächsten Jahr zu zeigen.

Was tun? Man könnte einen kleinen Altar für Johanna Spyri in der Kirche Unser Lieben Frau einrichten. Oder Heidi und den Geißenpeter in Bronze neben den Stadtmusikanten aufstellen. Keine gute Marketing-Idee für Bremen? Na gut, dann nicht. Vielleicht haben ja Bernhard und Bianca, Tim und Struppi oder Johnny Rotten irgendwas mit Bremen zu tun, was sich vermarkten ließe. Falls nicht, könnte das Heidi-Epos der nächste Renner auf der Bühne des Bremer Musical werden. Die Schweizer kommen bestimmt. Peter Ringel