Die Überforderung durch das Absolute

Von der Instrumentalisierung des Glaubens und anderen Fundamentalismen: Ein Gespräch über die Wurzeln des Terrors in der Akademie der Künste

Zweimal in seinem Leben ist er schon dem Fundamentalismus entkommen: das erste Mal der rassistischen Säuberung durch Hitler, das zweite Mal der ideologischen durch Stalin. So führte György Konrád, Präsident der Akademie der Künste, in einen Abend ein, der als eine Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus angekündigt wurde. Das Gespräch war das erste einer geplanten Reihe, die der Sorge entsprungen ist, mit den bisherigen begrifflichen Instrumenten weder dem Krieg noch dem Terrorismus gewachsen zu sein.

„Wir sind überfordert“, schickte denn auch der Schweizer Schrifsteller Adolf Muschg, zum Moderator des Gesprächs bestellt, voraus. Wir werden es auch noch auf lange Sicht hin sein, bis Politik und Ökonomie neue Strategien entwickelt haben, deren Fehlen kein Militärschlag verdecken kann, könnte man auch als Fazit der Veranstaltung nehmen. Sich auf Niederlagen gefasst machen, Frustrationen hinnehmen – das zu lernen, meinte Egon Bahr am Ende – stünde jetzt eher an, als Schrecken vor der nächsten Attacke zu verbreiten.

Zu jenem Zeitpunkt waren sich die sechs Gesprächsteilnehmer einig, dass die militärischen Aktionen jetzt in Afghanistan weder das terroristische Potenzial stilllegen werden noch die Wurzeln des Konflikts berühren. Wie man sich aber diskursiv mit einer dieser Wurzeln, dem Fundamentalismus, auseinander setzen kann, dahin wussten auch sie keinen Weg.

Zuvor hatten sich die versammelten Theologen und Politikwissenschaftler bemüht, mit ihrem großen Wissen über Christen-, Judentum und Islam, zwischen einer fundamentalistischen Geisteshaltung und der Bereitschaft zur terroristischen Gewalt zu trennen. Sie deckten Begriffsgeschichte auf: Die ersten Fundamentalisten waren Protestanten. Sie hielten als legitim fest zu fragen, was an Werten fundamental für das Fortbestehen einer Religion ist. Sie nahmen die drei monotheistischen Religionen gegen den Generalverdacht in Schutz, Vernunft auszuhebeln und autoritätshörige Gotteskämpfer hervorzubringen.

Die Instrumentalisierung des Glaubens bis zur Bereitschaft, Andersgläubige zu vernichten, sahen sie vielmehr als das Ergebnis von Gesellschaften, die Modernisierung als Fremdbestimmung erfahren und zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Doch so genau sie auch den politischen Nährboden des Fundamentalismus in erfahrener Ungerechtigkeit verorteten, Merkmale wie die Buchstabengläubigkeit beschrieben, die einseitige Auslegung von Schriften als Gesetze kritisierten und die unvorstellbare Unterwerfung unter eine absolute Autorität ausmalten, zu fassen bekamen sie ihn nicht. Dies blieb immer ein Reden über fundamentalistische Argumentationen, aber ohne Pack-an, in sein geschlossenes Denkgebäude einzusteigen und ihn zu knacken.

Einmal versuchte es Julius Schoeps, Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam mit der Gegenfrage: „Was ist denn das Andere des Fundamentalismus?“ Eine kleine Pause markierte die Überraschung der Teilnehmer, bis Bahr sagte: „Vernunft und Moral.“

Vernunft und Moral. Martin Bauschke, der als Theologe die Stiftung Weltethos vertrat, erzählte von den Bemühungen um einen Katalog ethischer Normen, die übergreifend akzeptiert werden können. Bahr griff lieber auf die Charta der Vereinten Nationen zurück. Tatsächlich aber zeigte niemand große Lust, auf eine Diskussion über universell geltende Werte einzusteigen; wahrscheinlich auch, weil dieser Weg wenig geeignet scheint als Auseinandersetzung mit Redeweisen, denen man gerade ihren Anspruch auf absolute Gültigkeit streitig machen will.

KATRIN BETTINA MÜLLER