Angefordert oder aufgedrängt

Die Widersprüche offenbaren Konflikte in Washington: Der Außenminister will die Verbündeten einbeziehen, das Pentagon beharrt auf Unabhängigkeit

von ERIC CHAUVISTRÉ
und PATRIK SCHWARZ

„Ich will mich dazu öffentlich nicht äußern“, sagt Rudolf Scharping. Keine ganz schlechte Idee, könnte man meinen, schließlich wurde der Verteidigungsminister gerade nach einem Vorfall gefragt, der für seinen Chef, den Bundeskanzler, peinlich werden könnte. Am Vortag hatte Gerhard Schröder das deutsche Truppenaufgebot für Afghanistan mit dem Hinweis gerechtfertigt, man komme damit amerikanischen Wünschen nach. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach dagegen in Washington davon, man habe nur um „broad support“ gebeten, um „allgemeine Unterstützung“. Ein Widerspruch?

„Ich will mich dazu öffentlich nicht äußern“, sagt Scharping also vor der Bundespressekonferenz, nur um im nächsten Augenblick erleben zu müssen, dass der neben ihm platzierte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye umso bereitwilliger Auskunft gibt. Um Schröder zu schützen, nimmt Heye Scharpings kleine Blamage in Kauf.

Für den deutschen Kanzler ist der Vorwurf gefährlich, das überraschend umfängliche Kontingent von 3.900 Soldaten sei mehr Angebot als Nachfrage gewesen. Immerhin mutet der dritte Sozialdemokrat auf dem Kanzlerstuhl seinen Landsleuten einen Einsatz zu, der so unabsehbar ist wie keine deutsche Militäroperation seit 1945. Die Zustimmung der Öffentlichkeit dürfte daher wesentlich davon abhängen, dass die Bundeswehr nur das militärisch absolut Notwendige leistet. Riskant wird es für Rot-Grün, wenn der Militäreinsatz in den Ruch gerät, ein politisch motivierter zu sein, der zum Beispiel des Kanzlers Ambitionen für eine neue Außenpolitik illustrieren soll.

Auch muss die Bundesregierung in der jetzigen Situation den Vorwurf der Trickserei fürchten. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos warnte bereits: „Der Kanzler verlangt dem Parlament eine sehr schwierige und ernste Entscheidung ab. Unsere Unterstützung und Solidarität kann er aber nur auf Grundlage ehrlicher, wahrheitsgemäßer Informationen erwarten.“ Zwischen den Aussagen von Schröder und Rumsfeld gebe es „gewaltige Diskrepanzen“.

Die Aussagen des US-Verteidigungsministers auf einer Pressekonferenz in Washington sind in dem Protokoll festgehalten, das das Pentagon auf seine Website stellte. „Wir haben die Leute gebeten, das anzubieten, was sie für angemessen halten und mit dem sie sich wohl fühlen“, sagte er demnach. Schröder dagegen hatte erklärt, die Regierung habe „auf Bitten um ganz bestimmten Beistand“ positiv reagiert. Ausdrücklich verneinte der Pentagon-Chef, dass man um „gewisse spezifischen Dinge“ gebeten habe. Er machte schließlich noch einmal klar, es sei Sache der Deutschen, „zu spezifizieren, was sie tun werden“. Auch die Entscheidung über den Zeitpunkt des Einsatzes sei ganz allein Sache der deutschen Regierung: „That's their call.“

Meldungen über diese Pressekonferenz veranlassten gestern dann das Bundespresseamt zu dem diplomatisch ungewöhnlichen Schritt, eine Klarstellung von Donald Rumsfeld selbst zu veröffentlichen. Die in englischer Sprache formulierte Erklärung suggeriert, Rumsfeld habe nur bestritten, eine konkrete Zahl von Soldaten angefordert zu haben. Die USA hätten aber eine „spezifische Anfrage“ an Deutschland gestellt, so der Minister, und die Statements von ihm und Schröder seien „schlüssig“.

Regierungssprecher Heye räumte freilich ein, was Rudolf Scharping lieber verschwiegen hätte: Rumsfelds Klarstellung kam auf deutsche Bestellung zustande. Als Meldungen über Rumsfelds erste Äußerungen am Dienstag in Berlin eingingen, sprangen die rot-grünen Abwehrkräfte an. Kanzlerberater Michael Steiner, so Heye, habe zum Telefon gegriffen – um bei US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice zu hören, „wie das denn zu verstehen sei“. Rice habe dann die US-Position erneut erläutert, sagte Heye – ohne sich zu mühen, die US-Partner in Schutz zu nehmen. Der Regierungssprecher sprach offen von „einem Kommunikationsproblem“ um Rumsfelds „missverständliche Äußerungen“. Die rot-grüne Tagesparole lautete offenbar: Lieber eine PR-Panne eingestehen, als politisches Unheil heraufbeschwören.

Ob es sich bei den 3.900 Soldaten nun um eine amerikanische Anfrage oder ein deutsches Angebot handelte, klar ist: Die USA wollen die Bundesrepublik nicht aus militärischen Erfordernissen dabeihaben, sondern als Teil einer Neuorientierung der amerikanischen Öffentlichkeitsarbeit.

Gerade die britische Regierung, die bislang allein an der Seite der USA stand, drängt verstärkt darauf, andere Staaten in die Kriegsplanung miteinzubeziehen. Möglicherweise sieht Tony Blair die Schwierigkeit, dauerhaft eine Unterstützung in der Bevölkerung abzusichern, wenn andere europäische Regierungen außen vor bleiben. Dies würde auch das Ad-hoc-Gipfeltreffen ausgewählter EU-Regierungschefs in London voriges Wochenende erklären.

Innerhalb der US-Regierung war dies Ausweitung aber wohl nicht unumstritten. Das US-Aussenministerium plädierte dafür, durch eine Erweiterung der Runde der am Krieg beteiligten Staaten eine politische Absicherung zu erreichen. Gerade zu einer Zeit, in der es durch den beginnenden Ramadan und die sich verschärfende Flüchtlingskatastrophe zu Schwierigkeiten kommen könnte, ist dies eine schlüssige Strategie.

Das Pentagon war aber möglicherweise skeptisch, weil es die militärische Notwendigkeit nicht sieht und gleichzeitig eine Einmischung beteiligter Regierungen in militärische Entscheidungen befürchtet. In diesem Zusammenhang würden auch Rumsfelds Statements Sinn machen. Er wollte wohl unterstreichen, dass man nicht von auswärtiger Unterstützung abhängig ist und alliierte Einflussnahme nicht erwünscht ist.