Die „Tampa“ rettete auch Howard

Australiens Labor-Opposition und die konservative Regierungskoalition liegen vor den heutigen Wahlen Kopf an Kopf. Bootsflüchtlinge haben unfreiwillig dafür gesorgt, dass die Regierung nicht schon längst untergegangen ist

aus Melbourne BORIS B. BEHRSING

Wetten im Umfang von über einer Million australischer Dollar haben die Australier auf den Ausgang der Parlamentswahlen am 10. November abgeschlossen. Zwar hätten sich die Gewinnchancen zuletzt stark zugunsten der oppositionellen Labor-Partei verändert, berichtet Wettchef Gerard Daffy. Doch noch setzten mehr Spieler auf die Regierung, deren Kurs bei 1,55 zu eins steht, gegenüber 2,25 zu eins für die Opposition.

Die Umfragen zeigen Labor und die seit 1996 regierende konservative Koalition aus Liberaler und Nationaler Partei Kopf an Kopf. Labor könnte von den so genannten Präferenzstimmen profitieren, die die kleineren und nur im Senat vertretenen Parteien Demokraten und Grüne der bisherigen Opposition geben wollen. Bis August hatte die von der Parteispitze der Liberalen selbst als „verschlagen, gemein, funktionsgestört und ohne Fühlung mit dem Volk“ kritisierte Regierung von Premierminister John Howard unter starkem Popularitätsschwund gelitten. Ein Sieg Labors schien sicher.

Dann brachte Howards harter Kurs gegenüber den vom norwegischen Frachter „Tampa“ im August geretteten Bootsflüchtlingen die Wende. Howard verwehrte ihnen mit Hilfe des Militärs, auf australischem Boden Asyl zu beantragen, und schob sie in den pazifischen Zwergstaat Nauru ab. Seine Popularität schoss nach oben. Die fremdenfeindliche Rechtspartei One Nation warf ihm gar vor, ihre Politik gestohlen zu haben.

Liberale Australier waren entsetzt. So sagte der frühere Diplomat und Exmanager der Fluglinie Quantas, John Menadue: „Es zeugt nicht von starker Führung, schwache und ausgestoßene Menschen anzugreifen. Das ist Feigheit.“ Er warf Howard vor, rassistische Instinkte zu wecken, kritisierte aber auch Labor-Chef Kim Beazley. Denn der hatte es nicht gewagt, Howards Flüchtlingspolitik zurückzuweisen, und billigte so den Rechtsruck.

Populär war auch Howards schnelles Angebot an die USA, 1.550 Soldaten für den Krieg in Afghanistan zu entsenden, dem Labor folgte. Zuletzt ging Howard gar mit der Warnung auf Stimmenfang, dass sich unter illegale Einwanderer Terroristen mischen könnten.

Die Wähler wissen aber nicht, ob sie den vom drögen Politiker zum starken Führer gewandelten Howard bei einem Sieg behalten. Denn trotz seiner erst 62 Jahre denkt er bereits daran, den noch nicht durch Führungsqualitäten aufgefallenen Schatzkanzler Peter Costello zum Nachfolger zu machen. Der entwarf die im Juli 2000 eingeführte und weiter unbeliebte Mehrwertsteuer.

Erst zuletzt traten im Wahlkampf soziale und wirtschaftliche Fragen stärker in den Vordergrund. Beide Lager versuchten, sich mit kaum zu finanzierenden Versprechen zu übertreffen: Sie reichen von Vergünstigungen für Babys, einer Aussetzung der Mehrwertsteuer für Tampons und andere weibliche Hygienemittel über mehr Geld für den vernachlässigten öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssektor, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis hin zu Hilfen für Familien und Plänen für eine transkontinentale Eisenbahn Melbourne–Darwin. Labor-Chef Beazley, der das TV-Duell gewann, setzt auf seine Vision einer gebildeten und faireren Gesellschaft. Dafür will er rund 3,4 Milliarden Mark ausgeben.

Die Regierung gab bereits viel Geld für zweifelhafte Maßnahmen aus. Dazu gehört die „Auslagerung“ abgefangener Bootsflüchtlinge in arme Südpazifikstaaten im Rahmen der strikten Antiflüchtlingspolitik. Das kostete bisher 150 Millionen australischer Dollar, reduzierte die Zahl der ankommenden Flüchtlinge jedoch nicht. Der Haushaltsüberschuss schrumpfte, sodass für die neuen Versprechen das Geld nicht reicht.

Die Regierung möchte deshalb ihre restlichen 51 Prozent des Telekomriesen Telstra verkaufen. Die Privatisierung ist aber umstritten. Labor verpflichtete sich, den Rest von Telstra nicht zu verkaufen. Um die Wahlversprechen wenigstens theoretisch einhalten zu können, wirbt Labor schon jetzt um Verständnis dafür, dass sie erst in drei Jahren greifen würden.