„Rudi Völler macht keine Fehler“

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Vogts, Ihr Kameruner Kollege Winfried Schäfer hat bereits kundgetan, er werde in seinem Job behandelt wie ein kleiner König. Leben Sie in Kuwait wie ein Scheich?

Berti Vogts: Nein, ich werde nie die Möglichkeit haben, als Scheich behandelt zu werden. Aber man ist auch zu mir freundlich und herzlich, die Türen werden einem geöffnet, auch im privaten Bereich. Am meisten aber fasziniert mich der Respekt, den man voreinander hat.

Und der Ihnen zuletzt in Deutschland nicht mehr entgegengebracht wurde.

In Kuwait ist der Respekt fest in der Religion verankert. Umgekehrt habe auch ich gewisse Dinge zu respektieren.

Welche zum Beispiel?

Dass die Spieler zu gewissen Zeiten beten. Das muss ich schon bei der Festlegung der Trainingszeiten berücksichtigen. Es gab sogar schon Phasen im Training, da haben die Spieler nach der Aufwärmphase gebetet. Ich muss dazu aber sagen, dass ich vor jungen Menschen, die fünfmal am Tag beten, großen Respekt habe.

Warum ausgerechnet Kuwait?

Ich habe schon zuvor immer Urlaub gemacht in dieser Region. Außerdem habe ich mir einige Videotapes von der Mannschaft angeschaut und dabei festgestellt, dass es sich dabei um ein sehr, sehr interessantes Team handelt. Hinzu kommt aber auch, dass ich eine gewisse Distanz zur Öffentlichkeit hier in Deutschland schaffen wollte.

Kennen Sie alle Ihre Spieler schon oder befinden Sie sich noch im Findungsprozess?

Die Problematik ist, dass ich die Spieler zwar kenne, sie aber drei, vier Namen haben und sie manchmal nicht wissen, auf welchen Namen sie gerade hören sollen. Bei den Brasilianern ist das einfacher, die haben immer einen Nickname, einen Fußballernamen also, der auch auf dem Trikot draufsteht. Aber meine Spieler heißen heute Husein und morgen Mohamed. Ich kenne sie zwar alle vom Sehen, aber immer gleich den richtigen Namen zu treffen, das ist manchmal noch ein Problem. Aber es wird besser.

In welcher Liga könnte Ihre Mannschaft hier in Deutschland mitspielen?

Wenn wir in Kuwait spielen würden – das Ambiente, der hohe Rasen, mit einem weichen Ball, bei diesen Temperaturen –, dann wäre diese Mannschaft in der Lage, im mittleren Bereich der Bundesliga mitzuhalten. Hier in Deutschland, mit der Umstellung auf das Wetter und das schnelle Passspiel des europäischen Fußballs sowie dessen Körperbetontheit, wären wir wohl mittlere Kategorie in der zweiten Liga.

Woran fehlt es am meisten?

Wir haben nach der verpassten WM-Qualifikation viele ältere Spieler durch junge ersetzt. Das sind sehr interessante Spieler, allerdings müssen sie sich noch an das internationale Niveau anpassen. Oftmals ist denen noch der Ball etwas zu hart und der Rasen zu grün, aber alles in allem lässt sich die Sache sehr gut an. Wir haben vor allem taktisch einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan. Von der Technik her sind das ohnehin teilweise wirklich außergewöhnliche Spieler, die mit dem Ball umgehen können. Nur vergessen sie mitunter die taktische Grundordnung. Wenn die so vor sich hin spielen, dann vergessen die alles, leider auch die Taktik.

Welchen Stellenwert hat Fußball in Kuwait?

Fußball ist Sportart Nummer eins in Kuwait. Sportart Nummer zwei ist Fußball und dann kommt Fußball. Deswegen leiden die Menschen in Kuwait ja auch so darunter, dass sie nächstes Jahr bei der WM in Japan und Südkorea nicht dabei sind. Die haben noch längst nicht überwunden, dass sie im entscheidenden Spiel mit 0:1 gegen Bahrain verloren haben. Ein Unentschieden, ein Tor also, hätte gereicht, um die nächste Qualifikationsrunde zu erreichen.

Jetzt führen Sie die Mannschaft eben zur WM 2006 nach Deutschland.

Es ist das Ziel des kuwaitischen Fußballverbandes, in Deutschland mit dabei zu sein. Ob das mit mir zusammen geschieht, kann man heute noch nicht sagen, dazu ist dieses Geschäft viel zu kurzlebig. Deswegen habe ich zunächst auch nur einen Vertrag für ein Jahr unterschrieben. Man muss erst einmal abwarten, wie man miteinander auskommt, ob wir zusammen passen.

Wie genau ist Ihr Aufgabenbereich definiert? Was erwartet man von Ihnen?

Die Neuorganisation des kuwaitischen Fußballs. Das beinhaltet nicht nur die A-Nationalmannschaft, sondern auch die Olympiauswahl und alle Junioren-Manschaften.

Das hört sich nach einer Menge Basisarbeit an.

Ja, das ist es. Wir wollen da etwas aufbauen, zum Beispiel eine Profiliga. Ohne die hat Kuwait keine Chance, den Anschluss zu finden.

Ihr Vorgänger wurde entlassen, weil er in der WM-Qualifikation scheiterte. Wie groß ist der Druck, der auf Ihnen lastet?

Aus dem Alter, in dem man Druck verspürt, bin ich raus.

Ihr Vertrag war noch nicht richtig unterschrieben, da durfte Rudi Gutendorf auch schon im „Spiegel“ ablästern. „Berti Vogts wird mit den Arabern nicht klarkommen. Nach ein paar Wochen fliegt er.“ Ärgern Sie sich noch über solche Äußerungen?

Ich habe das auch gerade erst gehört. Gegenfrage: Wer ist Rudi Gutendorf? Lebt der überhaupt noch?

Zumindest scheint er noch Interviews zu geben.

Das sagt dann doch nur alles über die Zeitung, wenn sie sich ausgerechnet einen solchen Interviewpartner sucht.

Herr Vogts, diese und nächste Woche muss die deutsche Nationalmannschaft um die WM-Qualifikation bangen. Mit welchem Gefühl blicken Sie den Spielen gegen die Ukraine entgegen?

Mit dem gleichen wie Sie: Ich kann nur die Daumen drücken.

Im Gegensatz zu mir könnten Sie aber durchaus auch ein Gefühl der Genugtuung verspüren, dass es mit der deutschen Nationalmannschaft so weit gekommen ist.

Was heißt schon Genugtuung? Um Genugtuung verspüren zu können, habe ich zu lange in dieser Mannschaft gespielt und war zu lange ihr Trainer. Ich bin einfach nur traurig, dass es so weit gekommen ist und dass ich mit meinen Prognosen Recht behalten habe. Vielleicht lag es ja nicht nur am Trainer.

Glauben Sie, dass die deutschen Nationalspieler gegen die Ukraine dem nervlichen Druck gewachsen sind, der auf ihnen lastet?

Wenn Sie es nicht sind, haben Sie nichts in der Nationalmannschaft zu suchen. Dann sollen sie hingehen und zu Rudi Völler sagen: Trainer, ich bin nervlich nicht in der Lage, 180 Minuten gegen die Ukraine spielen zu können.

Würden Sie denn gerne in der Haut von Rudi Völler stecken wollen?

Ich habe des öfteren in dieser Haut gesteckt.

Welche Fehler würden Sie Rudi Völler bisher nachweisen wollen?

Rudi Völler macht keine Fehler. Das was er nominiert hat, ist das Beste, was der deutsche Fußball im Moment zu bieten hat.

Sie hätten auch auf Ulf Kirsten verzichtet?

Rudi Völler kennt Ulf Kirsten viel besser als ich. Außerdem ist man in einer Stunde von Leverkusen aus in Frankfurt. Da genügt ein Anruf ...

Sie haben einmal angemahnt, dass man schon vor zwei Jahren den Schnitt hätte machen müssen. Wie müsste dieser nach Ihrer Meinung aussehen?

Ich wäre 1998 den Weg mit jungen Spielern weitergegangen. Aber damals war ein 2:1 gegen Malta oder ein Unentschieden gegen Rumänien nicht gut genug.

Wie kann dem deutschen Fußball geholfen werden?

Ich habe zu diesem Thema alles gesagt und möchte es auch nicht mehr aufwärmen. Der DFB kennt meine Ansichten, ich habe da viele Gespräche geführt. Letztendlich müssen mal alle zusammen an einem Tisch sitzen und sagen: Verdammt noch mal, so kann es einfach nicht weitergehen. Da zähle ich die Medien übrigens dazu: Ihr lasst einem Trainer doch gar nicht mehr die Zeit, eine Mannschaft mit jungen Spielern aufzubauen. Wo hat man denn dazu noch die Zeit, außer vielleicht in Freiburg?

Könnte nicht gerade vor diesem Hintergrund ein Scheitern in der WM-Qualifikation heilsam sein?

Das ist doch Quatsch. Das Wichtigste ist es, bei einer WM teilzunehmen, schon damit sich die jungen Spieler an das ganze Umfeld gewöhnen und lernen, was internationale Klasse ist. Beckenbauer, Hoeneß und Breitner sind damals doch nicht bekannt geworden, weil sie den Europapokal gewonnen haben, sondern weil sie bei der Weltmeisterschaft gespielt haben. Da werden Spieler zu großen Spielern. Auch für Deisler und Ballack, die 2006 bei der WM im eigenen Land im besten Alter sind, wäre es ungemein wichtig, schon jetzt in Japan und Südkorea mit dabei zu sein, um zu erfahren und zu lernen, was es heißt, eine WM zu spielen. Wenn sie dann vier Jahre Zeit haben, das zu verarbeiten und umzusetzen, dann werden sie stark.

Was würde es für den deutschen Fußball bedeuten, wenn es gegen die Ukraine schief geht?

Es wird nicht schief gehen. Wir werden gegen die Ukraine gewinnen.

Herr Vogts, Winnie Schäfer sieht in Kamerun die Möglichkeit, sich zu bewähren – um eines Tages wieder in Deutschland arbeiten zu können. Wie ist das bei Ihnen?

Ich bin Deutscher und habe dem deutschen Fußball sehr viel zu verdanken. Wenn ich irgendwo helfen kann, werde ich das tun.