herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über ernsthaften Sport

Fußball ist bloß Kinderkram

Helmut Kohl möge sich bitte daran erinnern, „dass wir die Deutschen in diesem Jahrhundert bereits zweimal in ihrem Nationalsport geschlagen haben“. So soll es Maggie Thatcher 1990 dem damaligen Bundeskanzler ausgerichtet haben, als der Dicke nach dem Ausscheiden Englands gegen Deutschland bei der Fußball-WM in Italien eher höhnisch bedauerte, dass die Briten ausgerechnet in ihrer Nationalsportart geschlagen worden waren.

Erst einige Wochen her, dass ich diese Anekdote hier schon einmal erzählte und damals einige eher spaßige Bemerkungen machte über diesen vermeintlich deutschen Hang, im Kriegführen vor allem eine sportliche Herausforderung zu sehen. Wer konnte da schon ahnen, dass sich nur zwei Monate später die Deutschen tatsächlich für einen Angriffskrieg qualifizieren und in wettkampfartiger Euphorie geradezu in ihn stürzen würden?

Und wie hätte ich das auch voraussehen können? Schließlich stand das World Trade Center da noch. Mittlerweile steht es nicht mehr – und mit ihm einiges andere auch nicht mehr so kerzengerade wie noch vor jenem ominösen 11. September. So richtig fest steht derzeit nur die uneingeschränkte Solidarität des aktuellen Bundeskanzlers mit den notleidenden USA. Das wird ihm am Ende zwar nur den Titel Schröfaz (schröderster Feldherr aller Zeiten) einbringen. Dafür lässt er die Deutschen nach jahrzehntelanger Abstinenz wieder an einem echten Wettkampf teilnehmen. „Deutschland erwache!“, sangen die Schlachtenbummler beim letzten Mal, „Deutschland wird erwachsen!“ skandieren sie jetzt; warum eigentlich nicht: „Deutschland erwachse!“? Die ersten Tickets für den Weltmeisterschaftskampf werden am Donnerstag vergeben. Die Gruppengegner der Vorrunde stehen auch schon fest: Afghanistan, Somalia und der Irak. Die Teilnahme der deutschen Nationalelf an der nächsten Fußball-WM steht dagegen auf noch recht wackeligen Füßen. Das dürfte sich aber nach einem 0:3 – so zumindest mein Tipp und Wunschergebnis – morgen Abend endgültig erledigt haben.

Mein Eindruck ist allerdings, dass „the worst case“ (so man sich in Kommentatorenkreisen das vorzeitige WM-Aus zu nennen angewöhnt hat) gar nicht so schwere Erschütterungen bei den Fußballdeutschen auslösen wird, wie man bisher vermutete. Selbst Kicker-Chef Rainer Holzschuh äußerte in einem Radiointerview eine, wenn auch bloß klammheimliche Hoffnung auf eine WM-Nichtteilnahme. „Stell Dir vor, es ist WM, und die Deutschen fahren nicht hin“, so hörte man es in den letzten Tagen allseits witzeln. Und da sich mittlerweile die Fortsetzung des parodierten Brecht-Verses rumgesprochen hat („... dann kommt der Krieg zu Euch“), wurde auch damit eifrig kokettiert: „Dann kommt die WM zu Euch“, ulkte man, obwohl das ja so oder so eintreffen wird. 2006 findet die WM bekanntlich in Deutschland statt.

In den Krieg geht es aber bereits jetzt. Die einhellige Entschlossenheit, um nicht zu sagen Entrücktheit, die darüber in Deutschland ausgebrochen ist, legt den Schluss nahe, dass wohl was dran ist an Maggie Thatchers Nationalsporttheorie. Die Aussicht, bei einem internationalen Wettkampf mal wieder was anderes zu schießen als bloß Tore, scheint die Deutschen derzeit jedenfalls in eine fickrigere Erwartung zu versetzen als die mögliche WM-Teilnahme ihres Fußballteams. Zudem ist der Respekt vor den Leistungen der deutschen Auswahlfußballer spürbar gesunken (Bierhoff!), während die Achtung vor den erwarteten Verdiensten der 3.900 deutschen Auswahlkrieger ständig steigt (KSK!). Nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bundeswehr auch der Bundesliga den Quotenrang ablaufen und man sich in Deutschland mehrheitlich auf diese Doktrin einigen wird: Fußballsport ist Kinderkram. Erwachsene Deutsche führen Krieg.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport