erfolge der kritik
: Der Castor-Transport könnte auch ganz friedlich ins Endlager kommen

Wenn der Staat vor Hitzacker kapituliert

Ich finde, die Polizei sollte die Castor-Gegner einfach mal gewinnen lassen. Nicht immer die Blockierer wegtragen und den blöden Zug ein paar hundert Meter weiterrücken lassen. Langhaarige Menschen, die nur unser aller Bestes wollen, werden geschlagen oder man trägt sie weg. Leute verprügeln bloß wegen so einem doofen Zug.

Wie wäre es denn, wenn die Polizei irgendwo, sagen wir mal kurz vor Hitzacker, aufgibt? Da, dreißig Kilometer vor dem Ziel, ist auch ein Bahnhof. Schluss Kinder, tut uns Leid, wir kommen hier jetzt nicht mehr weiter. Und dann lassen die den Zug einfach stehen. Hauen alle ab, sollen die Demonstranten doch sehen, was sie mit dem doofen Zug machen.

Zuerst würden die Castor-Gegner ihren Sieg gehörig feiern. Einfahrt des befreiten Transports in den Bahnhof. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, ein großes Fest. Und mittendrin steht auf Gleis 3 der Zug. „Unser Zug“, sagen sie liebevoll in die Kameras. Die Trophäe. Dann werden Wachen organisiert. Eine ständige Menschenkette rund um den Zug. So 200 Leute müssen immer da sein. Damit die Polizei den Zug nicht über Nacht zurückerobert.

Schlagzeile am nächsten Tag: Der Staat hat kapituliert! Alle Zeitungen drucken ermahnende Kommentare an die Demonstranten, dass sie mit dem gefährlichen Zeug ja sorgsam umgehen. Also nicht aufmachen oder so. Am Nachmittag: Trittin reist an. Er wird gnadenlos ausgebuht, weil alle denken, er will verhandeln. Aber er überreicht der Demoleitung lediglich eine tausendseitige Anweisung, wie man mit dem Material umzugehen hat. Dann macht ihr das mal besser, sagt er Castor-Gegner verachtend.

Spätestens am zweiten Tag, das prophezeie ich, wird es schon schwer, die Leute für die Wachablösung zu motivieren. Es werden ernste Diskussionen geführt, wie hoch die Strahlenbelastung so nah am Zug eigentlich ist. Und in Hitzacker regt sich auch der Widerstand. Weg mit eurem scheiß Uran-Zug, ab nach Gorleben damit, vielleicht ist das Zeug dort doch ein bisschen sicherer. Wir wollen das Ding nicht länger hier haben! Petitionen werden überreicht. Erste Steine fliegen. Der schwarze Block darf den Bahnhof von Hitzacker gegen die aufgebrachten Einheimischen verteidigen. Je länger das dauert, desto schlimmer wird es, vielleicht müssen sie sogar die Polizei um Hilfe bitten. Weil das keinen Spaß macht, hauen sie alle ab. Viele revolutionäre Ideale gehen da den Bach runter. Ein Staat, der sich nicht wehrt, wie soll man den denn bekämpfen?

Spätestens am vierten Tag geben sie auf, bitten die Bahn um einen kompetenten Lokführer und begleiten den Zug im Schweigemarsch bis zur Endstation. Wetten, dass? JÜRGEN WITTE