Expressionistische Extistentialistin
: Im Chanson-Himmel

■ Juliette Gréco sang in der Glocke

Es war eher großes Theater als ein Konzert: Juliette Gréco machte aus jedem ihrer Chansons ein Drama mit großen Gesten. Da wurde selig der Kopf in den Himmel gestreckt, sinnlich die eigene Hüfte befingert, gleich danach gab es tonlose Schmerzensgesten und dann ein wohliges Räkeln.

Alles so überdeutlich und dramatisch, dass man es noch in der letzten Reihe der fast vollbesetzten Glocke miterleben konnte. Fast könnte man meinen, Juliette Gréco stehe nicht nur in der Tradition des französischen Exis-tentialismus, dessen Stimme, Gesicht und Verlockung sie war, sondern wäre auch von den expressionstistischen Stummfilmhelden beeinflusst.

Nur dort sieht man sonst solche plakativen Gesten, solch eine überlebensgroße Mimik, solche extremen und sekundenschnellen Schwankungen in den Stimmungen. Juliette Gréco segelt da im Grunde ständig an der Kante zur Lächerlichkeit, und wenn sie dann doch nicht exaltiert, sondern beseelt wirkt, liegt das nur an ihrem Charisma. Denn: Eine wahre Diva kann sich gar nicht lächerlich machen, und so bewundert man die große Wandlungsfähigkeit in ihrem Ausdruck, die wahrscheinlich bei jeder anderen wie übelstes Schmierenkomödiantentum gewirkt hätte.

Ihre Stimme ist ein wenig dunkler geworden, dadurch hat sie nur gewonnen. Und eine geschickte Lichtregie ist dafür verantwortlich, dass man ihr die 74 Jahre nun wirklich nicht ansieht. Ihre Band ist minimalis-tisch: Bass, Schlagzeug, Gitarrist, ein Akkordeonspieler, der auf den Keyboards auch mal Geigen erklingen ließ. Und am Piano ihr Gatte Gérard Jouannest, der ein ausgeprägt gallisches Profil wie aus einem Asterix-Comic hat.

Dieser hat auch zusammen mit dem Literaten Jean-Claude Carriére mehr als die Hälfte der gesungenen Lieder geschrieben. Schöne Chansons, künstlerisch auf hohem Niveau, aber mitunter wirken sie ein wenig wie neoklassizistische Nachahmungen mit aufgepinselter Patina. Bejubelt wurden in der Glocke die Klassiker von Jacques Brel, Serge Gainsbourg und Leo Ferré. Das Publikum bekam, was es erwartet hat: Bei Juliette Gréco konnte man hemmungslos der Nostalgie frönen. Standing Ovations waren selbstverständlich.

Wilfried Hippen