Ein Gegner der Grammatik

■ Konrad Weichberger ist einer von Bremens skurrilen, rebellischen und lange vergessenen Autoren – bis morgen

Mit einer Biografie rundet Jan Osmers die Reihe der von ihm herausgegebenen Werke des vergessenen Bremer Autors Konrad Weichberger ab.

„Lass du doch das Klavier in Ruhe; / es hat dir nichts getan“. Ende der 80er sitzt die Redaktion der damals noch jungen Literaturzeitschrift STINT in einem Café. Man hat das Soll für dieses Mal erfüllt, sitzt noch ein wenig zusammen, trinkt ein Bier und klönt. Als ein befreundeter Autor hereinkommt und einigermaßen aufgeregt von einem Zufallsfund berichtet. Im Staatsarchiv gäbe es Akten zu einem Schriftsteller. Sein Name: Konrad Weichberger. Die Runde schüttelt den Kopf. Nie gehört. Unter ihnen ist Jan Osmers. Der sich wohl nicht träumen ließ, dass die Nachricht zu einer Art Obsession werden und ihn die kommenden gut zehn Jahre beschäftigen würde.

Nun sei dies Kapitel abgeschlossen, sagt Osmers wehmütig, aber auch erleichtert. Und wirkt ein wenig wie ein Archäologe, der vor der frisch geputzten Vitrine steht, darin ein Knochen, sein Fund, an den die Kollegen nie hatten glauben wollen. Osmers „Fossil“ besteht aus neun Bänden. Acht mit Texten und einem mit einer Biografie.

Das Cover des Eröffnungsbandes der Reihe „Bremer Literatur Spuren“ im hiesigen Schünemann-Verlag zeigt das verwehte Foto eines Mannes mit Hut und Schal: Konrad Weichberger. Man ahnt, wie er sich „lang, etwas windschief und die Augen ironisch-genießerisch halb zusammengekniffen“ durch die Gassen des Studienortes Jena schob. 1877 in Weimar geboren, wo er 1948 starb, verbrachte der Schriftsteller, Kritiker, Übersetzer und engagierte Pädagoge dreißig Jahre seines Lebens in der Hansestadt. „Eine skurrile, eigenwillige Persönlichkeit“, sagt Osmers, deren Biografie immer wieder „unerwartete Wendungen“ aufweise.

In „Auf ganz eigenen Wegen“ erzählt Osmers schlicht, zurückgenommen einen Bildungsroman unter den Vorzeichen der späten Moderne. Er lässt eine Vielzahl von Zeitgenossen und nicht zuletzt den Autor selbst zu Wort kommen. Mit dem „Familienidyll schönster Art“, wie Lovis Corinth Weichbergers elterliche Wohnung nannte, war es für Sohn Konrad bald vorbei, auch wenn er – aller Kritik zum Trotz – sich nie gänzlich von seiner bürgerlichen Herkunft lossagte. Früh veröffentlichte Weichberger zu Shakespeare und Eichendorff. In seiner Studienzeit erschienen in der „Insel“ erste Gedichte und eine merkwürdige Erzählung, in der sich eine Mara Miróh in den Hund des Ich-Erzählers verliebt.

Es folgt die Zeit in Bremen. Weichberger ist Reformer. Vehement kritisiert er die offizielle Schulpolitik und den wilhelminischen Militarismus. Aber er ist auch Bildungsbürger, tritt nach dem Ersten Weltkrieg in die offiziell sanktionierte Stadtwehr ein, einen Verein, den er erst verlässt, als die Nähe zum „Stahlhelm“ überdeutlich ist. Zugleich vertritt er USPD-nahe Positionen. Große psychische Probleme, Wahnvorstellungen, die sich, gelinde gesagt, äußerst bizarr äußerten, boten Angriffsflächen für Versuche, den unliebsamen Kritiker, der etwa für die Abschaffung des Religionsunterrichts eintrat und sich auch mal mit einem Senator anlegte, kaltzustellen. Seine Lehrerkollegen „hatten dünne Akten: Einstellung, Kindergeld, Pensionierung“. In seiner häufen sich psychiatrische Gutachten. 1928 wurde Weichberger per Senatsbeschluss (!) aus dem Schuldienst entfernt. Er hatte sich geweigert, Grammatik zu unterrichten. Weil so das Gefühl für die Sprache mit Füßen getreten, aber auch, weil Kinder aus weniger betuchtem Hause benachteiligt würden.

Weder stilistisch noch politisch lässt sich Weichberger klar einordnen. Sein Leben steht „exemplarisch für den Versuch, sich in die Angelegenheiten der Gesellschaft einzumischen, die diese oft mit brutalsten Mittel zurückweist“ (Osmers). Auch wenn nicht alle Schriften Weichbergers uneingeschränkt als genial gelten können, kommt dem Herausgeber und Biografen doch das Verdienst zu, einen vielleicht nicht zufällig vergessenen Autor geborgen zu haben. „nimm lieber deine Gummischuhe / und bring mich in die Bahn.“ Weichberger stellte 1929 das Erscheinen der von ihm mitverantworteten und zwischen Brettlstil und Expressionismus pendelnden Literaturzeitschrift „Die Welle“ ein, zog sich erst nach Ottersberg und schließlich nach Weimar zurück. Er starb am 15. Juli 1948.

Tim Schomacker

„Auf ganz eigenen Wegen“ wird am morgen um 20 Uhr in der Stadtwaage, Langenstraße 13, mit einem literarisch-musikalischen Programm präsentiert