Acht Gläubiger auf der Matte

Die 24-jährige Anne hat 9.000 Mark Schulden. Immer mehr Jugendliche stürzen sich ohne finanzielle Allgemeinbildung in unbezahlbare Verpflichtungen. Berufsschüler starten nun eine Info-Kampagne

von MICHAEL DRAEKE

Das Zimmer wirkt irgendwie leer. Couch, ein Sessel, Schreibtisch in der Ecke, das war’s im wesentlichen. „Ich brauche Platz, ich mag das so“, meint Anne*. Mit ihrem Problem habe das nichts zu tun. Die dunkelhaarige junge Frau sitzt auf dem Sofa, raucht viel und redet schnell. Anne ist 24 Jahre alt und hat ungefähr 9.000 Mark Schulden. Seit August wird sie deshalb von der Schuldenberatungsstelle Dilab beraten.

Für den Leiter der Beratungsstelle, Peter Zwegat, ist Annes Schuldenlast nichts ungewöhnliches. Etwa 300 ähnliche Fälle bearbeiten die drei Berater der Dilab pro Jahr, der Anteil der Jugendlichen steigt stetig. „Zur Einstiegsfalle ist in den letzten Jahren das Handy geworden“, erklärt der Sozialarbeiter. Jugendliche Klienten, die mit mehreren tausend Mark bei Mobilfunkanbietern verschuldet sind, kämen mittlerweile häufig.

Den Grund für das populäre Leben auf Pump sieht Zwegat in zu geringer „finanzieller Allgemeinbildung“. Bei Veranstaltungen in Schulen konfrontiere er die Jugendlichen oft mit der Vorstellung, sie hätten ausgelernt und würden 1.650 Mark im Monat verdienen. „Wenn sie dann ausrechnen, wieviel Geld sie benötigen“, erzählt Zwegat, „kommen dann irrige Zahlen wie 100 Mark im Monat für Lebensmittel raus.“

Um Schüler vor der Schuldenfalle zu bewahren, startet die Senatssozialverwaltung zusammen mit den Beratungsstellen in dieser Woche eine Informationskampagne. Plakate und Flyer mit dem Motto „Dumm gelaufen - Schulden nageln Dich fest“ haben Berufsschüler vom Oberstufenzentrum Wrangelstraße in Kreuzberg entworfen.

Dumm gelaufen ist es bei Anne schon, als sie noch 18 war. Die junge Frau, die damals noch in einer Kleinstadt lebte, stand endlich auf eigenen Füßen und hatte eine Menge Wünsche: Klamotten, eigene Wohnung, Handy. Nur das nötige Kleingeld fehlte: Die Friseurlehre hatte sie nach einem Jahr abgebrochen, die habe sie eh nur „auf Druck meiner Mutter gemacht“.

Da kamen die Lockungen diverser Versandhauskataloge gerade recht: Kaufen Sie jetzt, bezahlen Sie später. Die Bestellung geht fix, und unangenehme Fragen werden nicht gestellt. „Ich hatte damals ja keine Ahnung von Zahlungsmoral und so, das war mir egal“, sagt Anne heute trotzig. „Im Prinzip hab ich mir mit leeren Taschen die Klamotten besorgt.“ Das funktionierte eine ganze Weile geradezu hervorragend. Zwar häuften sich mit der Zeit die Mahnbriefe, aber auch da bot sich eine Lösung: „Ich hab gar keine Briefe mehr aufgemacht, das stapelte sich alles.“ Die Posthalde wurde größer und größer. Insgesamt acht Gläubiger stehen noch heute bei ihr auf der Matte: zwei Versandhäuser, 2.000 Mark bei der Handyfirma, Gasag-Rechnungen und so weiter. Ihre Mietschulden sind glücklicherweise beglichen, die Wohnung ist damit erst mal gesichert.

Im Prinzip hat sie noch Glück gehabt: Weil sie für ihre Tochter aus einer gescheiterten Ehe Unterhalt zahlen muss, konnte nicht bei ihr gepfändet werden. Mit Gerichtsvollziehern, blutsaugerischen Inkasso-Büros und windigen Geldhaien konnte sie trotzdem Bekanntschaft schließen. Das Angebot mit dem Slogan „Wir vergeben auch Kredite an Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger“ hat sie gleich weggeschmissen.

Seit einem halben Jahr hat sie nun wieder einen festen Job mit gutem Gehalt. Aber nach Abzug der Fixkosten und der Schuldentilgung bleiben ihr von 2.200 Mark noch knapp 700 zum Leben, das reicht nicht für große Sprünge. „Ich habe meine Ansprüche runtergeschraubt“, bemerkt die junge Frau.

Im letzten Sommer beschloss sie, endlich etwas zu ändern: sie ging zum Sozialamt, damals war sie noch arbeitslos. „Die haben die Hände überm Kopf zusammengeschlagen“, berichtet sie von der ersten Begegnung. Über einen Tipp kam sie schließlich zur Schuldenberatungsstelle Dilab e.V. in Friedrichshain.

Für Anne steht eins fest: „Verträge gehe ich heute gar nicht mehr ein, außer für die Wohnung“. Die Perspektive, wenn alles glatt läuft, ist klar: „In ungefähr 18 Monaten müsste alles abbezahlt sein.“ Wichtig sei im Moment nur, dass die Miete bezahlt ist und die Wohnung warm.

Und ihrer Freundin Janine* will sie helfen. Die sitzt neben ihr auf dem Sofa und hat das selbe Problem. Janine sagt, sie sei noch nicht so weit wie Anne. Nicht einmal ihrem Freund hat sie bisher gesagt, dass sie auch fast 9.000 Mark Schulden hat: „Das ist mir zu peinlich.“

*Name von der Redaktion geändertWeitere Informationen unter: www.schuldnerberatung-berlin.de