„Zivilgesellschaft Polens soll mitentscheiden“

Der Europaparlamentarier Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf lehnt Direktbeihilfen für die Bauern in den Kandidatenländern ab

taz: Die Fortschrittsberichte geben den Kandidatenländern gute Noten, und so haben sie ihre Chancen gewahrt, bei der Europawahl 2004 mitzuwählen. Reichen dann die Mittel, die von 2004 bis 2006 in der Finanzplanung eingestellt sind?

Graefe zu Baringdorf: Es hat ja im landwirtschaftlichen Bereich, einem der schwierigsten Kapitel, noch gar keine Verhandlungen gegeben. Auch die Vorbeitrittshilfen für die Landwirtschaft – unter der Abkürzung Sapard zusammengefasst – werden bis jetzt gar nicht ausgezahlt. Außerdem bin ich überzeugt, dass die nächste Erweiterungsrunde erst 2006 stattfinden wird.

Erweiterungskommissar Verheugen hat angedeutet, dass bis zu 25 Prozent der polnischen Höfe mit Direktbeihilfen rechnen können. Wäre das bezahlbar?

Das Europäische Parlament hat sich gegen Direktbeihilfen in den neuen Mitgliedsländern ausgesprochen. Die Kommission dagegen will Direktzahlungen – aber nur die Hälfte dessen, was die alten EU-Länder bekommen. Da ist das Parlament dagegen, weil es jede politische Steuerung zunichte macht. Wir wollen, dass diese Gelder als strategische Gelder für die Regierungen der Beitrittsländer bereitgestellt werden. Damit könnten dann nicht nur landwirtschaftliche Betriebe sondern Arbeitsplätze generell im ländlichen Raum gefördert werden, um den Menschen in ihrem vertrauten Umfeld eine Existenzgrundlage zu sichern.

Damit wären die neuen Mitglieder Versuchskaninchen für den Rest der EU, denn auf die Dauer wollen sie ja weg vom Gießkannenprinzip und hin zu genau dieser Art von gezielter Strukturförderung.

Das ist richtig. Wir wollen nicht das Geld zum Fenster rauswerfen. Das würde zwar den Betrieben einen Scheck aus Brüssel bescheren, aber dem ländlichen Raum nicht weiterhelfen. Die Gelder dafür sind vorhanden, zumal aus den Sapard-Programmen der letzten beiden Jahre 1,1 Milliarden Euro gar nicht abgeflossen sind.

Förderung des ländlichen Raums – das klingt auch wieder nach Brüsseler Bürokratie. Was genau ist damit gemeint?

Wir möchten einen Teil der Gelder in einen Topf geben, über den die Zivilgesellschaft mitentscheiden kann. Bislang haben die Leute von Seiten der EU nur Export-Dumping erlebt, und ihre Märkte wurden durch subventionierte EU-Produkte gestört. Wie das die Stimmung beeinflusst, sieht man in Polen, wo die euroskeptischen Parteien bei den Wahlen großen Zulauf hatten.

Sie sagen selber, dass die Sapard-Mittel nicht abgeflossen sind. Glauben Sie denn, dass die Nichtregierungsorganisationen flotter und innovativer beim Schreiben von Projektanträgen sind als die staatlichen Stellen?

Wenn man die Zivilgesellschaft beteiligt, entstehen neue Ideen. Und weil eine größere Zahl an Menschen beteiligt ist, wird besser kontrolliert, wo die Mittel hinfließen.

Wie könnte denn so ein Projekt aussehen, das man mit umgewidmeten Sapard-Mitteln fördern könnte?

Wir sind in den Karpaten gewesen. Dort gibt es Kleinstlandwirtschaft, viele produzieren für den Eigenbedarf, für kleine regionale Bauernmärkte. Dort sind Umweltorganisationen aktiv, die diese Handelsstrukturen erhalten wollen, gleichzeitig aber die Produktionsbedingungen modernisieren möchten. Wenn dort die Logik der alten Agrarsubventionierung der Europäischen Union greift, würde das wie ein Staubsauger wirken. Dann würden wenige große landwirtschaftliche Fabriken entstehen, die für den EU-Markt produzieren. Und das Geld ist weg. Es hat dann keinen positiven Einfluss auf die ländliche Struktur.

Viele haben gehofft, die EU könne den gewaltigen Druck, der durch den Beitritt entsteht, zum Anlass nehmen, ihre Landwirtschaftspolitik endlich grundlegend zu reformieren.

Wir sind mit der Reform 1999 bei den Verhandlungen zur Agenda 2000 stecken geblieben. Und das macht das Dilemma für die neuen Mitglieder aus: Passen sie sich an die Strukturen an, die jetzt bestehen, laufen sie Gefahr, dass sie eine Agrarpolitik zementieren, die ihnen mehr schadet als nützt. Das sehen die meisten Politiker, mit denen ich gesprochen habe, auch selbst so. Wenn sie aber nicht ihren Teil vom Kuchen fordern und die nächste Reformrunde wieder stecken bleibt, dann stehen die Regierungen dieser Länder vor ihren Bauern mit leeren Händen da.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER