Kollateralschaden Hungersnot

von DOMINIC JOHNSON
und REINHARD WOLFF

„Unser Krieg ist nicht nur ein Krieg mit Soldaten und Flugzeugen“, sagte US-Präsident George Bush vor einer Woche bei einer Rede im US-Finanzministerium, Abteilung Geldwäschebekämpfung. Am gleichen Tag veröffentlichte das Ministerium eine Liste von 62 Personen und Organisationen, die, so Bush, der finanziellen Zusammenarbeit mit „zwei terrorunterstützenden Finanznetzwerken“ verdächtigt wurden. Ihre US-Konten wurden eingefroren, FBI-Beamte durchsuchten Büros und verhafteten Verdächtige.

Aus US-Sicht war das der bisher größte Schlag gegen das Finanznetzwerk des internationalen Terrorismus. In Wirklichkeit bedeutete es, dem bitterarmen afrikanischen Somalia den ökonomischen Krieg zu erklären. Denn das wichtigere der „terrorunterstützenden Finanznetzwerke“, dem es an die Gurgel geht, ist Somalias größtes Geldinstitut: al-Barakat, wichtigstes von mehreren Finanzhäusern, mit dem ausgewanderte Somalis Geld in die Heimat schicken.

5 Prozent für al-Qaida?

500 bis 800 Millionen Dollar überweisen Auslandssomalis nach UN-Schätzungen jedes Jahr ans Horn von Afrika, 200 bis 500 Millionen davon gehen über die in Dubai ansässige al-Barakat. Für bis zu 80 Prozent der somalischen Bevölkerung ist das die einzige Möglichkeit, Geld zu transferieren. Sogar UN-Unterorganisationen wickeln ihren Zahlungsverkehr in Somalia über al-Barakat ab. Aber weil die 1985 gegründete Bank eine fünfprozentige Überweisungsgebühr abzieht und diese nach US-Ansicht aus Dubai an Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida geht, muss das Institut zerschlagen werden, um den Terrorismus zu besiegen. Sozusagen als Kollateralschaden wird Somalias Wirtschaft damit das Rückgrat gebrochen.

32 der 46 Unternehmen auf der neuesten Terrorliste des US-Finanzministeriums tragen „Barakat“ in ihrem Namen. Ansonsten stehen auf der Liste die führenden Telefongesellschaften Somalias. Die wichtigsten Strukturen, die somalische Unternehmer in den zehn Jahren seit Zusammenbruch der letzten Zentralregierung im Chaos des permanent bürgerkriegsgeschüttelten Landes an informellen Strukturen aufgebaut haben, sind von den USA für illegal erklärt worden. „Bush hat uns in weniger als 24 Stunden das Geschäft kaputtgemacht“, klagte al-Barakats Sprecher Khalif Farah am Wochenende, als das Institut sämtliche Büros in Somalia bis auf weiteres dichtmachte. Die Schließung der somalischen Banken sei „ein Todesurteil für hunderttausende Somalis“.

Das US-Finanzministerium konterte, die Somalis könnten doch US-Geldinstitute für ihre Finanzgeschäfte nutzen. Aber Hilfsorganisationen, die bereits vor einer bevorstehenden Hungersnot in Somalia warnen, äußerten sich ebenso kritisch über den beispiellosen Schritt wie die international anerkannte Regierung Somalias, die in der Hauptstadt Mogadischu residiert und außerhalb der Stadt nur wenige Gebiete beherrscht. Al-Barakats Vorsitzender Ahmad Ali Jimale wies in Dubai sämtliche Vorwürfe zurück, er unterstütze Terroristen: „Nichts als Lügen“ seien das. „FBI hat unser Essen gestohlen“, war in Seattle auf den Transparenten demonstrierender Exilsomalis zu lesen.

Informelles Netzwerk

„Viele in Somalia sind auf das Geld von den Verwandten angewiesen“, erklärt im schwedischen Rinkeby Ahmed Ali Yusuf, dessen Name ebenfalls auf der neuen US-Terrorliste steht. Der 26-jährige ist Leiter der lokalen Zweigstelle von al-Barakat und hat vier Kinder. 1992 kam er als Flüchtling von Somalia nach Schweden. „Ich habe nie mit Terror zu tun gehabt“, sagt er. „Den Namen Bin Laden habe ich zum ersten Mal gehört, als das in New York passierte.“

Ahmed holt mehrere Ordner und zeigt die Belege von Transaktionen. An die 1,5 Millionen Mark sollten dieses Jahr aus Schweden nach Somalia fließen. Die Somalis in Schweden zahlen bei al-Barakats drei schwedischen Büros das Geld ein. Per Kopie des Einzahlungsbelegs wird an al-Barakat vor Ort in Somalia übermittelt, wer wieviel bekommt. Der Empfänger bekommt dort beim lokalen Al-Barakat-Büro das Geld gegen Vorlage der Quittung oder Mitteilung eines Kennworts ausgezahlt.

„Hawala“ heißt dieses informelle Geldtransfersystem, das auf absolutem Vertrauen zwischen allen Beteiligten basiert. Da keine förmliche grenzüberschreitende Banküberweisung stattfindet, ist es attraktiv für die informelle Wirtschaft, für Emigranten – und für kriminelle Geschäfte. Aus US-Sicht müssen alle Hawala-Systeme trockengelegt werden, damit die Finanzquellen des Terrors versiegen.

In Somalia ist al-Barakat nicht unumstritten. Als ökonomisches Standbein des Landes ist es das wirtschaftliche Rückgrat der in Mogadischu residierenden Regierung, die von zahlreichen anderen Clans angefeindet wird. Für die Führer dieser Clans ist al-Barakat eine Mafia im Dienst einer Warlord-Fraktion. Die Regierung der von Somalia abgespaltenen „Republik Somaliland“ schloss nach Bekanntwerden der US-Liste sofort alle 26 Al-Barakat-Büros auf ihrem Gebiet. Von so etwas profitieren dann andere Institute, die nach dem gleichen System arbeiten.

Somalischen Emigranten ist das ziemlich egal. Ihnen geht es darum, über ein verlässliches Mittel zum Geldtransfer in ein Land ohne etabliertes Bankwesen oder rechtstaatliche Institutionen zu verfügen. Und nicht nur aus ihrer Sicht ist daran nichts auszusetzen. Ahmed Ali Yusuf legt seine Bücher regelmäßig dem schwedischen Finanzamt vor. Das habe nie etwas auszusetzen gehabt. „Die Polizei kann gerne kommen und das alles überprüfen“, sagt er. „Wir haben alle Quittungen da, alle Namen von Absendern und Empfängern.“

Keine Ermittlungen

Die Polizei war noch nicht bei ihm. Und die Justiz sieht auch keinen Handlungsbedarf. Die schwarze Liste, die die US-Botschaft in Stockholm der schwedischen Regierung bereits am Montag letzter Woche überreicht hatte, sei keine ausreichende Basis, um Ermittlungen anzustellen, meint die Staatsanwaltschaft. Jochum Söderström von der Abteilung für Finanzdelikte sagt: „Wir sehen in dieser Tätigkeit von al-Barakat nichts von vornherein Verdächtiges. Ein Verein, der Geld an Angehörige in der alten Heimat schickt, ist weder verboten noch einmalig, sondern selbstverständlich.“

Auch Boo Ehlin, Pressechef der Skandinaviska Enskilda Banken, welche al-Barakat in erster Linie für ihre Überweisungen aus Schweden einschaltet, gibt sich erstaunt: „Haben wir den Verdacht, dass Geldwäsche läuft, sind wir gesetzlich zu einer Anzeige verpflichtet. Aber einen solchen Verdacht hatten wir nie.“ Sven Hegelung, Staatssekretär im schwedischen Finanzministerium, ergänzt: „Die USA wollen, dass wir die Konten und Vermögenswerte von al-Barakat einfrieren, aber dafür haben wir weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Grundlage.“

Drei schwedische Staatsbürger und drei Organisationen aus Schweden stehen auf der US-Liste. Eine der Personen lebt mittlerweile in London, eine der drei Organisationen ist vor längerer Zeit in Konkurs gegangen. Genannt wird unter anderem das Somalia Network und sein Vorsitzender Abdirisak Aden. Der 33-jährige Abdirisak steht auf Platz 31 der Liste der schwedischen Sozialdemokraten für die nächsten Parlamentswahlen.

Somalia Network ist eine Anlaufstelle für somalische Flüchtlinge in Stockholm. Das angebliche Terrorzentrum besteht aus einem einfach möblierten Raum. In der Ecke läuft ein Fernseher, an der Wand hängt eine Landkarte von Somalia. Man kann Erdnüsse, Honig, Kaffee und preiswerte Mobiltelefonkarten kaufen. Der dort angetroffene Busfahrer Ahmed Osam sagt: „Ich verdiene mein eigenes Geld, keine Sozialhilfe. Jeden Monat schicke ich meiner Mutter in Somalia 100 Dollar. Die braucht sie, um Medikamente und Essen zu kaufen. Warum soll jetzt Barakat getroffen werden? Nur weil Bush es bestimmt?“