„Wir müssen eine historische Entscheidung treffen“

Auch unter dem Eindruck des Vertrauensvotums will noch keiner der acht grünen Kriegsgegner einen Sinneswandel erklären

BERLIN taz ■ Das wirklich wichtige Treffen dieses Abends findet statt, als Gerhard Schröder die grüne Fraktionssitzung längst wieder verlassen hat. Die acht Afghanistan-Dissidenten unter den grünen Bundestagsabgeordneten sitzen eine dreiviertelStunde zusammen – und vertagen sich. „Jedem hier ist klar geworden“, sagt Winfried Hermann, „dass wir zu acht eine historische Entscheidung treffen müssen.“ Seine Augen sind rotgerändert, die Erschöpfung ist wohl nicht nur äußerlich. „Wir wollten diese Macht nicht haben“, schiebt er fast schon entschuldigend nach.

Auch unter dem Eindruck eines Tages, an dem der Druck auf die Gruppe bisher ungeahnte Höhen erreichte, will keiner öffentlich einen Sinneswandel erklären. Der Abgeordnete Hans Christian Ströbele zeigte sich vom Auftritt des Kanzlers beeindruckt. Schröders Antworten auch auf heikle Fragen seien „erstaunlich konkret gewesen – da war kein Politikerdeutsch.“ Auf die Frage, ob er sein Nein nun überdenken würde, sagte er: „Ich habe nicht erwartet, dass mich der Kanzler in einer halben Stunde überzeugt – und er wohl auch nicht.“

Irmingard Schewe-Gerigk spricht von „einer völlig neuen Situation, über die wir nun neu beraten müssen“. Wie Schewe-Gerigk gehörte Annelie Buntenbach schon zu den Gegner des Kosovo-Einsatzes. Nach der Sitzung beharrte sie auf der Richtigkeit ihrer Position: „Inhaltlich hat sich nichts geändert.“ Auf die Frage aber, wie sie am Freitag abstimmen werde, wich sie aus. Noch am Vormittag sah die Lage völlig anders aus, drastische Worte bestimmten die Diskussion. „Wir lassen uns nicht zu einem Ja erpressen“, erklärte Winfried Hermann der taz.

Ganz blass sahen viele der Grünen aus, die sich gestern kurz vor 3 Uhr in Richtung Fraktionssaal begaben. Zu diesem Zeitpunkt trieb fast alle Abgeordneten, gleich ob Unterstützer oder Gegner eines Bundeswehreinsatzes, quälende Unsicherheit um. Hilfloses Schulterzucken, ratlose Augenaufschläge auf die Frage, was den Kanzler so plötzlich getrieben hatte, die Afghanistan-Abstimmung zur Vertrauensfrage zu erheben.

Für ein paar bange Stunden an diesem Dienstag, so sagt ein Sitzungsteilnehmer, „war unklar, ob der Kanzler sich absetzen will“. Inszeniert Schröder da den Koalitionsbruch? Will er sich mit der Verknüpfung von Afghanistan- und Kanzlerfrage einer grünen Partei entledigen, von der viele sich plötzlich zu erinnern glauben, er habe sie schon immer eher als lästig empfunden? Seine eigene Truppe würde der SPD-Chef mit der Vertrauensfrage um sich scharen können, darüber herrschte bei den Grünen Einigkeit. „Die Arschkarte bleibt bei uns hängen“, sagte ein Insider.

FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper hatte sich bereits demonstrativ vor dem grünen Fraktionssaal postiert. „Es gibt eine lange Tradition liberaler Außenminister“, sagte sie.

Mit drei Argumenten machte der Kanzler Eindruck in der Fraktion: Seinem Loblied auf die Erfolge von Rot-Grün, seinem Hinweis, sein anschließender Besuch bei der FDP sei schon vor drei Wochen vereinbart worden, und mit einer Latte von Zusagen an die Kriegsskeptiker: Einen Entschließungsantrag wird es geben zur politischen und humanitären Hilfe, eine Präzisierung des Auftrags und regelmäßige Information des Parlaments. Drastisch wurde er nur einmal: „Wer das mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, der kann ja auch sein Mandat abgeben.“

Zumindest die Zweifler scheint Schröder gewonnen zu haben. Antje Vollmer, die in den Tagen zuvor erklärt hatte, die Stimmung der Gesellschaft müsse sich auch mit einen hinreichenden Zahl von Nein-Stimmen aus den Reihen der Grünen ausdrücken, versicherte dem Kanzler ihr Vertrauen. Und was macht sie am Freitag? „Ich weiß noch nicht, wie ich mich entscheide.“ PATRIK SCHWARZ