koalition in der krise
: Vertrauensfrage ohne Augenzwinkern: Der Kanzler meint seine Erpressung ernst

Im gewöhnlichen Umgang miteinander kann man Vertrauen nicht erzwingen. Im parlamentarischen Umgang ist dies sehr wohl vorgesehen. Die Vertrauensfrage des Artikel 68 Grundgesetz gibt dem Bundeskanzler – und nur ihm – ein verfassungsmäßig abgesichertes Erpressungsinstrument in die Hand. Die Alternative für jeden Abgeordneten lautet: entweder dem Kanzler das Vertrauen aussprechen oder die Auflösung des Bundestages und damit Neuwahlen riskieren.

Die bündnisgrünen Abweichler in Sachen Einsatz der Bundeswehr stehen damit an einem Scheideweg. Neuwahlen „unter Kriegsbedingungen“ könnten sich für die Grünen als tödlich erweisen. Stimmen aber die Abweichler angesichts dieser Gefahr bei der Vertrauensfrage für Schröder, so entwerten sie ihre eigene Argumentation.

Es gibt oberschlaue Taktiker, die diesem Dilemma dadurch entgehen wollen, dass sie die Sachabstimmung über den Entschließungsantrag der Koalition von der Vertrauensfrage trennen wollen. In diesem Fall, so haben einige der Grünen-Frondeure erklärt, würden sie Schröder brav das Vertrauen aussprechen, nachdem sie vorher – ohne praktische Folge – gegen den Entschließungsantrag gestimmt hätten. Kanzler Schröder wird dieser Finesse aber kaum zustimmen. Er kann sich ausrechnen, dass eine solche Erpressung mit Augenzwinkern beim Publikum schlecht ankommt. Der Kanzler hat sich zudem hinsichtlich der „Bündnispflicht“ in einem Maß exponiert, das jedes Manövrieren ausschließt. „Uneingeschränkte Solidarität im Rahmen des uns Möglichen“ verlangt nach unzweideutigen, klaren Entscheidungen.

Können die Abweichler darauf hoffen, einen Umfall, ein Ja bei der Vertrauensfrage damit zu begründen, dass die Kriegshandlungen im Wesentlichen beendet seien, dass jetzt humanitäre Hilfsleistungen im Vordergrund stünden, dass mithin ihre Zustimmung eigentlich einer überholten und damit folgenlosen militärischen Einsatzverpflichtung gelte? Aber kein deutscher Politiker dürfte sich zutrauen, die Konturen und die zeitlichen Grenzen dieses Krieges zu bestimmen. Ein Ja bei der Vertrauensfrage bedeutet trotz aller Protokollzusätze die bedingungslose Zustimmung zu Schröders Kurs. Deshalb bleibt den grünen Abweichlern doch nur die Wahl zwischen einer Prinzipienfestigkeit, die die Partei, und einer Flexibilität, die sie selbst ruiniert.

CHRISTIAN SEMLER