Ernst machende Hirsche

■ Breitwand-Geböller und Metal-Alchemie: Fear Factory, Godflesh und Devin Townsend in der Markthalle

Eigentlich scheint bei Fear Factory alles im Lot. Die Band genießt hohes Ansehen, lockt immer noch genügend Leute an Kasse und in Konzerthallen und hat musikalisch wohl alle gesteckten Ziele erreicht. Kaum eine Metal-Band hat sich so explizit der Verknüpfung von Breitwand-Rock und einer technoid-verkabelten Science-Fiction-Ästhetik verschrieben wie die vier Amerikaner um Stimmband-Hirsch Burton C. Bell. Und alle waren sich einig: Dieses Quartett wurde und wird als verlässliche Instanz in Sachen Fortschritt, Konsumkritik und Präzision verortet.

Ein Polster von zweifelhafter Sanftheit: Denn mittlerweile hat sich dieser genügsame Schulterschluß zwischen Band und Fan derartig eingependelt, dass kaum mehr jemand damit rechnete, wie sehr sich dieses Prozedere einmal rächen kann. Während linkerhand nahezu jede herkömmliche Nu Metal-Gruppe mehr jugendliche Fans an sich bindet, werden Fear Factory auf der anderen Seite von einem Mann an den Rand gedrängt, der all jenen Adrenalin-Überschuss ausstrahlt, den Fear Factory einst für sich gepachtet hatten: Devin Townsend.

Der knapp 30-jährige Musiker mit der ebenso schütteren wie unglücklichen Frisur hat sich in weniger als sieben Jahren den Ruf des besten aller multi-begabten Tausendsassas erspielt, -produziert und -komponiert. Dass im Zuge einer derart ungebremsten Betriebsamkeit auch mal eine jahrelange Beziehung kippen kann, scheint ebenso traurig wie ins Bild des besessenen Einzelgängers passend. Auf aktuellen Fotos posiert Townsend entsprechend auch als fratzenschneidender Mad Scientist, der die Welt in Grund und Boden kichert, und dem sich qualmende Reagenzgläser als phallischer Ersatz andienen. Ein Metal-Alchemist, der die Geheimnisse der Welt hinaus auch alles und jeden zu kennen scheint. Townsend produzierte zu Beginn gleich ein Album des Gitarren-Gniedlers Steve Vai, lernte als Aushilfsgitarrist bei den Wildhearts den Ex-Metallica-Bassisten Jason Newsted kennen, nahm mit diesem gleich ein geheimes Demo auf und schlug zu guter letzt sogar das Angebot aus, neuer Sänger von Judas Priest zu werden. Warum das? Weil Devin wahrscheinlich aufgrund mangelnder Herausforderung eingegangen wäre, bloß Sänger einer alten Metal-Truppe zu sein. Wer das anzweifelt, sollte sich einmal die wütenden und hochmotivierten Songs seiner eigenen Band Strapping Young Lad reinziehen: Blastbeats en masse, Schreien, Gitarren, Ekstase, Dynamik. Einfach alles, was der Volksmund unter „jung & wild“ verbuchen würde. Und das noch glasklar.

Godflesh hingegen orientieren sich eher an ihrer eigenen Geschichte denn an den Polepostionen metallischer Königsdisziplinen. Auf ihrem Comeback-Album Hymns halten Justin Broadrick und GC Green die Zeit bei 1990 an, immerhin eine Ära, als ihr Label Earache noch Gold wert war, die Verbindung von Industrial und Grindcore locker als Maß aller Dinge durchging und ein Album wie Streetcleaner unerreichbar schien. Dass Godflesh in den Jahren danach ziemlich an Boden verloren, liegt natürlich auch an Broadricks Umorientierung in Richtung DarkDub oder HipHop, dem er mittels Techno Animal einen guten Klang gegeben hat. Da das neue Jahrtausend unter anderem auch ein herz für Wiedervereinigungen hat, steht die Reunion von Godflesh unter einem ganz guten Stern. Die neuen Hymns zumindest klingen alles andere als Lautmalerei. Fear Factory sollten also froh sein, wenn weder Townsed noch Godflesh Ernst machen. Oliver Rohlf

Sonntag, 21 Uhr, Markthalle