Grüne melden erste Verluste

Landesverband kritisiert Verknüpfung von Afghanistan-Einsatz mit Vertrauensfrage als „Erpressung“. Schon jetzt verzeichnen die Grünen wegen ihrer Haltung zum Krieg einen heftigen Mitgliederschwund

von ANDREAS SPANNBAUER

Die grüne Landesvorsitzende Regina Michalik hat die Verknüpfung der Abstimmung im Bundestag über den Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage, die Bundeskanzler Gerhard Schröder stellen will, heftig kritisiert. „Es geht um die Frage, ob die Grünen sich erpressen lassen“, sagte Michalik gestern.

Es gehe nicht mehr um die Frage einer deutschen Beteiligung, sondern vielmehr darum, „ob der Kanzler die Grünen weich geklopft bekommt“, so Michalik weiter. Schröder setze „aus machtpolitischen Interessen die Koalition aufs Spiel“. Durch die Verknüpfung sei eine völlig neue Lage entstanden. „Jetzt wird am Freitag nicht mehr über die Zustimmung zu einem Bundeswehreinsatz gegen den Terrorismus abgestimmt, sondern nur noch darüber, ob die Grünen die Koalition verlassen sollen.“

Eine Empfehlung an die acht grünen Bundestagsabgeordneten, die gegen den Einsatz stimmen wollen, wollte die grüne Landeschefin nicht geben. „Ich möchte niemandem etwas raten.“ Sie hoffe jedoch, dass sich die Fraktion noch auf eine gemeinsame Haltung einige. Es sei kein gutes Zeichen, „wenn sieben Aufrechte übrig bleiben und die anderen den Eindruck erwecken, eingeknickt zu sein“.

Der Landesverband hatte auf seinem Parteitag vor einer Woche eine direkte oder indirekte Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Afghanistan strikt abgelehnt. Die Mitglieder der Bundestagsfraktion wurden aufgefordert, gegen einen deutschen Einsatz zu stimmen. „An der Position des Landesverbandes hat sich nichts geändert“, bekräftigte Michalik, die auch Beratungsgespräche mit dem Berliner Bundestagsabgeordneten und Kriegsgegner Christian Ströbele bestätigte. Die beiden anderen grünen Berliner Bundestagsabgeordneten Andrea Fischer und Franziska Eichstädt-Bohlig wollen dem Einsatz zustimmen.

Die Auswirkungen eines möglichen Bruchs des rot-grünen Regierungsbündnisses auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin werden allgemein als gering eingeschätzt. Dass die SPD eine Koalition mit der PDS wegen deren Haltung zum Krieg abgelehnt habe, sei „an den Haaren herbeigezogen“ gewesen, so Michalik. Die Bundestagsentscheidung hat auch nach Auffassung von SPD-Parteisprecherin Anja Sprogies keinen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen. „Wir verhandeln hier über die Zukunft Berlins und nicht über bundespolitische Themen.“ Lediglich drei Berliner SPD-Mitglieder hätten wegen des bevorstehenden Bundeswehreinsatzes ihr Parteibuch zurückgegeben. Die Gespräche sollten am Freitag fortgesetzt werden.

Einen regelrechten „Mitgliederschwund“ seit der Ausrufung des Nato-Bündnisfalls verzeichnen dagegen die Grünen. „90 Prozent der Austritte werden mit der Ablehnung der Militäreinsätze begründet“, sagte Landeschefin Michalik. Selbst während des Kosovokriegs sei das Verhältnis von Ein- und Austritten besser gewesen als heute. Schätzungsweise 1 Prozent der rund 3.000 Mitglieder hat seit Mitte September den Austritt erklärt. Sollten sich die grünen Bundestagsabgeordneten dem Druck des Kanzlers beugen, rechnen die Grünen mit dem Verlust von weiteren Mitgliedern.