DIE FREUNDE USA UND RUSSLAND SCHRECKEN SICH WEITER ATOMAR AB
: Altes Denken mit alten Waffen

Vor 15 Jahren wäre es eine Sensation gewesen: Sowohl Russland als auch die USA wollen die Zahl ihrer Atomwaffen um etwa zwei Drittel reduzieren. Heute stellt sich eher die Frage: Wozu behalten sie das letzte Drittel? Wozu brauchen zwei Staaten, die keinerlei gravierende Probleme miteinander haben, noch jeweils etwa 1.500 bis 2.000 Atomwaffen, um sich gegenseitig und den Rest der Welt damit zu bedrohen?

Bejubeln kann den längst überfälligen Schritt nur, wer noch in den Schablonen der Ost-West-Konfrontation denkt. Denn das Jonglieren in den Dimensionen hunderter und tausender Atomwaffen stammt aus einer Zeit, als US-Verteidigungsminister noch ungestraft erörtern durften, bei wie viel Millionen Toten unter der US-Bevölkerung die Grenze zwischen Sieg und Niederlage anzusetzen sei. Selbst Rüstungskritiker liefen in diese Falle und verloren sich in Zahlenspielen. Doch wenn sie zu Recht auf den Wahnsinn eines „overkills“ hinwiesen, also auf die Fähigkeit, die Welt gleich mehrfach zu zerstören, bedeutet dies ja nicht, dass die Erhaltung der einfachen Fähigkeit zur Zerstörung eine vernünftige Option ist.

Atombomben sind absolute Waffen: Quantitative Reduzierungen machen keinen Unterschied, solange die Perspektive zu völliger Abrüstung fehlt. Spätestens nach den Bildern der Zerstörung vom 11. September sollte jedem wieder klar werden, was selbst die Explosion einer einzigen Atomwaffe anrichten würde. Anlass zum Jubel böte die jetzige Entscheidung allenfalls, wenn eine Abrüstung gegen null angestrebt und auf den Atomwaffeneinsatz insgesamt verzichtet würde. Genau dies ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Das absurde System der „atomaren Abschreckung“ soll ausdrücklich erhalten bleiben.

Wer da wen von was abschreckt, bleibt das Geheimnis der Militärplaner in Moskau, Washington – und Brüssel. Denn auch die Nato ist nicht bereit, auf den Erstschlag zu verzichten. Solange diese Politik nicht revidiert wird, bleibt die zahlenmäßige Reduzierung von Atomwaffen reine Kosmetik – und keine atomare Abrüstung. ERIC CHAUVISTRÉ