Ein Stasi-Skandal erschüttert Polen

Leslaw Maleszka gehörte zum Führungskreis von Solidarnosc. Jetzt erklärt er seine Spitzeldienste in der Presse

WARSCHAU taz ■ Er hat sie alle verraten. Jacek Kuron, Adam Michnik, die ganze Solidarnosc. Leslaw Maleszka gehörte zum inneren Kreis der polnischen Freiheitsbewegung Solidarnosc. Doch Maleszka arbeitete auch für die polnische Stasi. Bis vor seiner Aufdeckung durch eine 12-zeilige Zeitungsnotiz vor wenigen Tagen galt Maleszka als moralische Autorität.

Als Journalist der Gazeta Wyborcza führte er oft gemeinsam mit dem früheren Bürgerrechtler Adam Michnik Interviews. Zu seinem großen Themen zählte ausgerechnet die Vergangenheitsbewältigung Polens. Als angeblich liberaler Intellektueller warb er wie Michnik für Verständnis gegenüber den früheren Kommunisten. Bis vor einer Woche wusste niemand, dass Maleszka selbst zum Apparat gehörte, dass er seit 1976 als Stasi-Spitzel gearbeitet und alle seine Freunde verraten hatte.

Ewa Milewicz von der Gazeta Wyborcza ist fassungslos. In einem Interview im polnischen Rundfunk bekannte sie: „Ich konnte das erst gar nicht glauben. Das ist schrecklich. Inzwischen glaube ich es zwar, doch ich verstehe es einfach nicht. Dass wir in der Redaktion über seine Vergangenheit nichts gewusst haben, wundert mich nicht, wenn ich mir überlege, dass seine Freunde, die in den 70er- und 80er-Jahren mit ihm in der Opposition waren, auch nichts davon gewusst haben. Das waren damals sehr starke freundschaftliche Bindungen, damals– in einer Zeit, als man verhaftet wurde. Und sie haben nichts gewusst.“

In seinem letzten großen Artikel in der Gazeta Wyborcza erklärt Leslaw Maleszka nun, warum er 25 Jahre lang geschwiegen hat. Es ist das Bekenntnis eines Mannes, dessen moralisches Rückgrat vor 25 Jahren gebrochen wurde. Maleszka hat immer wieder versucht, aus der Spirale von Angst, Verrat und Angst herauszufinden.

Seine dreiseitige Erklärung in der Gazeta Wyborcza ist das Dokument des moralischen Scheiterns eines Mannes, der lieber nur für die Opposition gearbeitet hätte, aber immer wieder Spitzeldienste geleistet hat. Auch wenn er die Opfer nun um Entschuldigung bittet, bleibt dieser Verrat ein Schock. Unabhängig davon, ob ihm die ehemaligen Freunde verzeihen werden, muss nun die Geschichte der polnischen Freiheitsbewegung Solidarnosc neu geschrieben werden. GABRIELE LESSER