Zugucken, wie es abwärts geht

Die Konjunkturprognosen sinken weiter. Nur 0,7 Prozent Wachstum für 2002 sagen die Berater der Bundesregierung voraus. Die Fünf Weisen halten selbst eine Rezession für möglich. Trotzdem solle die Regierung keine neuen Maßnahmen ergreifen

von BEATE WILLMS

Es ist die bislang düsterste der aktuellen Konjunkturprognosen. Nur um 0,6 Prozent wird die Wirtschaft in Deutschland in diesem Jahr wachsen, erklärte der Sachverständigenrat für die wirtschaftliche Entwicklung gestern bei der Vorstellung seines Jahresgutachtens 2001/02 in Berlin. Und auch 2002 seien nur 0,7 Prozent zu erwarten. Anlass einzugreifen müsse das für die Politik allerdings nicht sein: Von Konjunkturprogrammen rieten die so genannten fünf Weisen ab.

So dramatisch sei der Einbruch nicht, vielmehr halte er sich im Rahmen des „üblichen Konjunkturverlaufs“. Stattdessen solle sich die Bundesregierung ihren Reformprojekten und vor allem dem Arbeitsmarkt widmen. Denn ob üblicher Verlauf oder nicht – die Folgen der schwächeren Wirtschaft für die Arbeitslosigkeit sind laut dem Ratsvorsitzenden Jürgen Donges „katastrophal“: Für das Jahr des Bundestagswahlkampfes erwartete er beinahe vier Millionen offizielle Erwerbslose.

Mit ihrer Einschätzung liegen die Weisen erheblich unter den rot-grünen Prognosen, die bislang davon ausgehen, dass das Bruttoinlandsprodukt, in dem das Wirtschaftswachstum gemessen wird, im kommenden Jahr wieder 1,25 Prozent betragen wird. Und selbst für die nun erwarteten 0,7 Prozent sehen sie „Unwägbarkeiten“, die ein zusätzliches „unwahrscheinliches, aber mögliches“ Szenario nötig machten: Demnach könnte, wenn die Konjunktur in den USA noch weiter abbröckelt, die Wirtschaft in Deutschland auch um 0,5 Prozent schrumpfen. Ein Grund, die Empfehlungen an die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ändern, wäre auch das jedoch nicht, sagte Donges.

Bei ihren Ratschlägen an die Bundesregierung halten die Weisen trotz der neuen Situation jedoch unverändert an der angebotsorientierten Linie der Vorjahre fest. Sie sehen den Spielraum für Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank als ausgeschöpft an und fordern ein Festhalten am Abbau der Staatsverschuldung. Das Maastricht-Kriterium von höchstens 3 Prozent Staatsdefizit, das acht führende europäische Forschungsinstitute in einem gemeinsamen Gutachten am Montag noch relativiert wissen wollten, erklärten sie für sakrosankt. Und obwohl sich die Weisen selbst von der schlechten Nachfrageentwicklung hatten überraschen lassen, erteilten sie auch Programmen zur Stimulierung des Konsums eine Absage.

Stattdessen erklärten sie mehrheitlich die mangelnde „Wagnis- und Leistungsbereitschaft“ von Beschäftigten und Arbeitslosen zum Hauptproblem und forderten die „Fortsetzung der moderaten Lohnpolitik“ und Flexibilisierungen der Tarife.

Dass es jedoch auch in der Wirtschaftswissenschaft andere Einschätzungen gibt, machte Ratsmitglied Jürgen Kromphardt mit einem Minderheitenvotum deutlich: Gerade – aber nicht nur – in Krisenzeiten sei eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, die die Nachfrage stärke, eher zu empfehlen.