„Die USA machen es nun besser“

Der pakistanische Verteidigungsexperte Masood glaubt, dass Washington aus den Fehlern, die es in der Region bisher machte, gelernt hat

Interview SVEN HANSEN

taz: Bedeutet der Einmarsch der Nordallianz in Kabul, dass die Afghanistan-Politik Pakistans gescheitert ist?

Talat Masood: Seit dem 11. September unterstützt Pakistan voll die Politik der USA in der Region und setzt alles daran, dass es in Kabul bald eine Regierung gibt, die alle afghanischen Ethnien repräsentiert. Wir wollen, dass der Bürgerkrieg dort beendet wird, und dazu bedarf es der Berücksichtigung aller Volksgruppen.

In der Vergangenheit hatte Pakistan aber keine Probleme damit, dass in Kabul eine monoethnische Regierung der paschtunischen Taliban herrschte.

Es ging für uns um die beste Option angesichts der Tatsache, dass die Taliban und die Nordallianz nicht miteinander auskamen. Das hätten wir gern gesehen. Auch jetzt hatten wir viel unternommen, um den Taliban klar zu machen, dass sie viel Ärger bekommen werden, wenn sie Ussama Bin Laden beherbergen. Pakistan ist so weit gegangen wie es konnte, aber bekanntlich kann nur begrenzt Einfluss auf die Taliban genommen werden.

Wie groß ist die Gefahr der Destabilisierung oder gar Talibanisierung Pakistans durch den jetzigen Konflikt?

Bisher haben Pakistan und insbesondere General Muscharraf den Konflikt sehr gut gehandhabt, vor allem dadurch, dass er sich ganz auf die Seite der USA gestellt und verstanden hat, dass dies in Pakistans nationalem Interesse ist. Zwar gibt es in Teilen des Landes eine Radikalisierung, besonders in der Grenzregion zu Afghanistan. Aber insgesamt ist Pakistan ein moderates Land. Der Stimmenanteil radikaler Parteien hat bei Wahlen nie über vier Prozent betragen. Bei den für Oktober 2002 vorgesehenen Wahlen werden die islamistischen Parteien wohl noch eine geringere Rolle spielen. Eine Talibanisierung Pakistans steht auch im Kontrast zur Vision der Gründungsväter, die einen modernen fortschrittlichen Staat im Sinn hatten. Die Islamisten sind Nebenprodukt des Dschihad gegen die Sowjets. Für sie sind auch die Amerikaner und die Europäer verantwortlich. Sie alle haben die Region im Stich gelassen.

Wie groß ist der Einfluss der Islamisten in Pakistans Militär?

Pakistans Armee ist sehr professionell. Es gibt dort ebenso religiöse Leute wie in der gesamten Gesellschaft, in der der Trend zur Religiosität in den vergangenen zwanzig Jahren zweifellos zugenommen hat. Aber in der Armee wird keine Radikalität toleriert. Das Gleiche gilt für den Geheimdienst. Er war zur Zeit der Zivilregierungen sehr einflussreich, vor allem im Hinblick auf die Politik gegenüber Afghanistan und Kaschmir. Das war ein Nebenprodukt des Krieges gegen die Sowjets, als es eine enge Zusammenarbeit mit der CIA gab. Seit Muscharrafs Machtübernahme im Oktober 1999 hat er den Geheimdienst wieder unter die Kontrolle der Regierung gebracht.

Wie sicher sind Pakistans Atomwaffen vor dem Zugriff von Islamisten?

Unsere Atomwaffen sind geschützter als in allen anderen Atomstaaten der Welt, da Pakistan besondere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat.

Was lernt Pakistan aus seinen Beziehungen zu den USA?

Viele sind von den USA sehr ernüchtert, weil diese nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan die ganze Region vernachlässigt haben, von der sie zuvor sehr profitiert hatten. Es gibt deshalb viele, die fürchten, dass die USA Afghanistan und Pakistan wieder fallen lassen werden, wenn sie uns nicht mehr brauchen. Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass die Amerikaner ihren großen Fehler bemerkt haben, sich nicht um den Wiederaufbau gekümmert zu haben, und das deshalb jetzt besser machen werden. Die USA, die gesamte westliche Welt und Japan haben jetzt ein Interesse, durch die Entwicklung Pakistans unsere Region zu stabilisieren.

Welchen Nutzen erhofft sich Pakistans Regierung von der jetzigen Kooperation mit den Vereinigten Staaten?

Die USA haben die nach den Atomtests verhängten Sanktionen gegen Pakistan bereits aufgehoben und damit zunächst ihre Beziehungen zu uns normalisiert. Dann überlegt Washington, wie es uns wirtschaftlich unterstützen kann. Weil unsere Exporte unter dem gegenwärtigen Konflikt leiden, erwarten wir hier Kompensationen. Es muss auch eine Umstrukturierung unserer Schulden geben. Mit einer Verbesserung unserer wirtschaftlichen Situation können wir auch besser Radikalisierungstendenzen in unserer eigenen Bevölkerung entgegentreten. Auf der politischen Ebene erwarten wir, dass sich die USA für eine Versöhnung Indiens und Pakistans im Hinblick auf Kaschmir einsetzen. Denn bei der Bekämpfung des Terrorismus müssen auch die Ursachen beseitigt werden, von denen Kaschmir eine ist. Dessen sollten sich die USA und die westliche Welt bewusst werden, so wie sie inzwischen ja auch ein größeres Bewusstsein für die Wichtigkeit einer Lösung des Palästinaproblems haben.