UN will keine Friedenstruppe schicken

Die Vereinten Nationen wünschen keine Führungsrolle in Afghanistan. Generalsekretär Annan gibt humanitärer Hilfe den Vorrang, sein Sonderbeauftragter Brahimi erteilt UN-Truppe eine Absage und bevorzugt innerafghanische Lösung

BERLIN taz ■ Zurückhaltend reagiert die UNO auf Wünsche, sie möge in Afghanistan eine Führungsrolle übernehmen. Die humanitäre Notlage habe Vorrang, machte UN-Generalsekretär Kofi Annan am Dienstag in New York klar. „Als erstes und wichtigstes müssen wir alles tun, was wir können, um die humanitären Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung zu befriedigen“, sagte Annan. „Danach verlangt der rasche Verlauf der Ereignisse vor Ort, dass wir uns auf die Herausforderung konzentrieren, der wir in einer Post-Taliban-Periode gegenüberstehen“.

Von einer aktiven Rolle der UNO dabei war in Annans Erklärung keine Rede. Die aus Erfahrung geborene Zurückhaltung seines Sonderbeauftragten Lakhdar Brahimi (siehe Porträt Seite 13) hatte offenbar auf Annan abgefärbt. In seiner mit Spannung erwarteten Erklärung zur Zukunft der UN-Afghanistanpolitik erteilte Brahimi am Dienstag vor dem UN-Sicherheitsrat einer UN-Friedenstruppe in Afghanistan eine klare Absage.

„Eine bewaffnete UN-Friedenstruppe wird nicht vorgeschlagen“, sagte Brahimi in einem der kürzesten Sätze seiner Erklärung. Es würde Monate dauern, sie zusammenzustellen, und ohne einen Waffenstillstand oder eine „glaubwürdige politische Lösung“ müssten UN-Truppen als „Kombattanten“ herhalten: „Dies ist keine Rolle für Blauhelme.“ Die „bevorzugte Option“ zur Sicherung Afghanistans gegenüber „nicht-afghanischen bewaffneten und terroristischen Gruppen“ sei weder eine UN-Truppe noch eine andere multinationale Truppe, sondern eine „all-afghanische Streitmacht“.

Auf der politischen Ebene betonte Brahimi die Notwendigkeit, die verschiedenen existierenden Initiativen zusammenzuführen. In der Konditionalform schlug der Sonderbeauftragte dann einen Fünf-Punkte-Plan vor, der aber eher als Pflichtübung erschien. Zunächst könne die UNO ein Treffen zwischen der Nordallianz und anderen an Friedensplänen bastelnden Gruppen einberufen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Dieses Treffen könne die Einberufung eines „provisorischen Rates“ mit Vertretern aller Ethnien und Regionen des Landes unter Vorsitz „einer als Symbol der nationalen Einheit anerkannten Person“ beschließen. Die Beteiligung von Frauen an dem Rat würde seine Legitimität „steigern“, so Brahimi. Der Rat solle die Zusammensetzung einer Übergangsregierung für zwei Jahre vorschlagen, die in Stufe Vier von einer Stammesältestenversammlung (Loya Jirga) bestätigt werden mußte. Nach der Übergangsperiode würde eine zweite Loya Jirga eine Verfassung für Afghanistan billigen.

Von Wahlen war in Brahimis Plan keine ausdrückliche Rede. Was passiert, falls es keinen Konsens zwischen den afghanischen Parteien gibt, sagte der UN-Beauftragte auch nicht. Über das Ziel gebe es Einigkeit zwischen allen Afghanen, sagte er – „die Schwierigkeit besteht darin, Einigkeit über eine Reihe konkreter Schritte zum Erreichen dieses Zieles zu erwirken“. Aber Einigkeit in den Schritten garantiert noch keine Einigung in der Substanz. Das von Brahimi empfohlene Vorgehen ist dem bereits angelaufenen Friedensprozess in der Demokratischen Republik Kongo sehr ähnlich. Dort sorgen Verzögerungen und Unstimmigkeiten unter den Konfliktparteien dafür, dass Dialogrunden regelmäßig ergebnislos bleiben.

Kein Wunder, dass humanitäre Hilfe zunächst als erfolgversprechender erscheint. Seit Anfang November, so Annan und Brahimi einmütig, kämen endlich genügend Hilfsgüter nach Afghanistan. „Zum ersten Mal seit dem 11. September“, lobte Annan, „konnten wir unsere wöchentlichen Planziele für Lebensmittellieferungen erreichen oder sogar überschreiten“.

DOMINIC JOHNSON