Teatime auf der Titanic

Bei den Grünen wächst die Nervosität. Eine vorgezogene Wahl könnte das endgültige Aus für die Partei bedeuten

BERLIN taz ■ „Was trinkst'n da? Alkohol?“, fragt Hans-Christian Ströbele. Sein Tonfall ist halb spöttisch, halb kokettierend. „Nee, Apfelsaft“, antwortet ein mürrischer Joschka Fischer. „Kommste mal mit?“, fragt Ströbele übergangslos. Fischer kommt mit. Zu zweit verziehen sich die beiden Antagonisten im Ringen um die Zukunft der rot-grünen Koalition an ein Tischchen in der hintersten Ecke.

Der Herbstempfang der grünen Bundestagsfraktion am Dienstagabend begann nur kurz nach Kanzler Schröders Machtwort vor den Abgeordneten. Auf dem Treffen mit Musik und Büffet versuchten darum Kriegsskeptiker und grüne Spitzen auszuloten, wie beide Seiten vor der Abstimmung am Freitag zusammenkommen können.

Als Fischer und Ströbele ihr Tischchen wieder verlassen, bleibt das Apfelsaftglas zurück. Konkrete Ergebnisse? Fehlanzeige. Knapp 24 Stunden später schaut die Lage der Grünen kaum anders aus. Drei Stunden warben die vereinten Partei- und Fraktionschefs Claudia Roth und Fritz Kuhn, Kerstin Müller und Rezzo Schlauch gestern Nachmittag vor einem knappen Dutzend Dissidenten für die Zustimmung zum Regierungsantrag.

Zuvor hatte sich Winfried Nachtwei, der allerdings nicht zum entschlossenen Kern der acht Gegner gehört, zur Zustimmung entschlossen. Für den Abgeordneten Winfried Hermann hat sich auch durch das Gespräch vom Nachmittag nichts geändert. Er lobt jedoch hinterher den Umgangston: „Es war angespannt, aber absolut fair.“

Daran hatte Parteichef Kuhn maßgeblichen Anteil. Er gab schon beim Empfang am Vorabend die Devise aus, mit den Kriegsgegnern müsse man als Gruppe sprechen. Einzelgespräche könnten schnell als Versuch gedeutet werden, Leute zu Verrätern zu machen.

Was beide Seiten eint, ist die Furcht vor Neuwahlen. Von Rezzo Schlauch bis zur entschlossenen Kriegsgegnerin Irmingard Schewe-Gerigk ist die Ansicht anzutreffen, eine Bundestagswahl im Januar oder Februar würden die Grünen nicht überstehen. „Wenn die Vertrauensfrage scheitert, wird es Ende Januar Neuwahlen geben, und alle Meinungsforscher und auch wir selbst gehen davon aus, dass ist das Ende der Grünen“, meint auch die Finanzpolitikerin Christine Scheel.

„Wären wir als Partei von vornherein auf Konfrontation zu diesem Krieg gegangen, hätten wir vielleicht eine Chance gehabt“, sagt ein noch unentschlossener grüner Abgeordneter, „aber jetzt, wo es keine klare Linie gibt?“

Die Stimmung beim Empfang erinnerte an Teatime auf der Titanic. Auch am nächsten Tag mag noch kaum ein Grüner wirklich glauben, das Ende sei nah. So wurde in der Krisenrunde schon an Rettungsringen gebastelt. So könnten etwa die sieben zulässigen Neinstimmen vor der Abstimmung unter den Kritikern verteilt werden. Wer dann gegen seine Überzeugung mit Ja stimmt, rettet die Koalition – darf aber in persönlichen Erklärungen seinem Protest Ausdruck verleihen. PATRIK SCHWARZ