Wem die Stunde schlägt

Morgen ist der Tag der Entscheidung: Bei einer absoluten Mehrheit für den Kanzler behält Rot-Grün die Macht. Doch Zweifel bleiben. Stimmen mehr als 7 Abgeordnete dagegen, gibt‘s Neuwahlen

BERLIN taz ■ Morgen entscheidet sich das Schicksal der Koalition und womöglich auch das der Grünen. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag die Vertrauensfrage stellt, verbunden mit der Zustimmung zu einem Bundeswehreinsatz im Afghanistankrieg, können sich Grüne und SPD zusammen höchstens 7 Neinstimmen leisten. Sonst platzt die Koalition, und es drohen Neuwahlen. Die Konsequenz könnte sein, dass die Grünen nicht mehr in den Bundestag einziehen. Die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel warnte, Neuwahlen seien „das Ende der Grünen“. Selbst wenn es erneut eine rot-grüne Mehrheit gäbe, erklärte SPD-Fraktionschef Peter Struck, werde es keine neue rot-grüne Regierung geben. Struck sagte, er rechne jedoch damit, dass die Grünen dem Kanzler seine Mehrheit verschaffen werden. Wenn alles gut gehe, werde die Debatte ein „heilsamer Schock“ für die Grünen sein. Was die SPD angeht, war sich Struck sicher: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus meiner Fraktion jemand gegen Gerhard Schröder stimmt.“ Fraktionsvize Gernot Erler räumte jedoch ein, dass mit zwei SPD-Abgeordneten noch „ernsthaft“ geredet werden müsse. Die SPD-Abgeordnete Christa Lörcher kündigte laut Stuttgarter Zeitung an, nicht für den Bundeswehreinsatz und damit gegen Schröder zu stimmen. „Das kann ich als Pazifistin nicht“, sagte sie.

Die möglichen Abweichler standen gestern unter stetig wachsendem Druck. Aus der Gruppe der grünen Abgeordneten, die bislang ihre Gegnerschaft zum Bundeswehreinsatz erklärt hatten, kündigten Monika Knoche, Christian Simmert, Annelie Buntenbach und Winfried Hermann an, sie blieben bei ihrem Nein.

Die Grünenchefin Claudia Roth eröffnete den Abweichlern im taz-Interview die Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust doch noch auf Kanzlerlinie einzuschwenken: Über ein Koalitionsende „kann nur der Parteitag entscheiden und nicht einzelne Abgeordnete, die zu einer anderen Frage abstimmen wollten“, sagte Roth. Der Parteitag findet in anderthalb Wochen statt. Roth selbst fühlte sich durch die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit der Afghanistan-Entscheidung von Kanzler Schröder nicht erpresst. ULRIKE WINKELMANN