Lieblingslieder für die Generation zur Zeit

Schnittmenge von Song und Track, von Pop und Elektronik: Tobias Thomas präsentiert zusammen mit Superpitcher und Phantom Ghost seine Compilation „Data Pop“ im Cookies

Es ist keine Seltenheit, dass Popjournalisten nicht nur über Pop schreiben und Beiträge für Funk und Fernsehen anfertigen, sondern selbst auch Popmusik machen. In vielen Fällen war es früher so, dass zuerst die Musik kam und später, als die Karriere nicht so recht aus der Hüfte kommen wollte, das Schreiben darüber: ein nicht weniger schweres Feld für karrierebewusste Menschen. Manchmal war es umgekehrt, da kam erst das Schreiben und dann die Musik, und es soll auch Popjournalisten geben, die nie ein Instrument in der Hand hatten oder an einem DJ-Pult standen.

Inzwischen aber haben sich die Professionen gegenseitig mehr und mehr durchdrungen: Man schreibt, liest, redigiert, legt Platten auf, spielt in einer Band und ist auch sonst nicht untätig in Sachen jedweder Kulturproduktion. Auch der aus Köln stammende Tobias Thomas ist so ein Multiberufler: DJ, Produzent von elektronischer Musik unter dem Namen Forever Sweet, Redakteur der Zeitschrift Spex und jetzt auch Herausgeber der Anthologie „Data Pop“, einer Zusammenstellung von 15 Songs größtenteils deutscher Pop- und Elektronikproduzenten.

„Data Pop“ heißt eine Kolumne, die Thomas in Spex schreibt und in seinen Worten „der Versuch ist, eine Schnittmenge zu betrachten, ohne deren äußere Ränder oder Ursprünge aus den Augen zu verlieren“. Mit anderen Worten: In „Data Pop“ geht es um elektronisch generierte Popmusik und Elektronik, die irgendwie auch Pop ist. Um Musik also, die Thomas in einem weiten Spannungsfeld von New Order, Roxy Music, Hot Chocolate, Aphex Twin und Mike Ink ansiedelt. Um Songs und Tracks und die Tatsache, dass beide inzwischen sehr ineinander übergreifen.

Natürlich hätte man es dabei auch belassen können - eine Kolumne sollte ja eigentlich für sich selbst stehen, und für die Musik, von der die Rede ist; natürlich wirkt es immer etwas eigenartig, wenn Kollegen über Kollegen schreiben und diese möglicherweise noch interviewen sollen; und natürlich ist so eine Compilation ein höchst selbstreferenzielles System: Der Spex-Redakteur, seine Kolumne, die Spex, die Freunde und Bekannten, die er hat bei Labels wie Ladomat, Karaoke Kalk oder Kompakt, das Album. Synergieeffekte galore und supreme, hätte man früher dazu gesagt.

Das ist dann aber wieder egal, wenn man das Gefühl hat, lange nicht mehr so eine schöne Zusammenstellung gehört und in der Hand gehabt zu haben. Schöne Lieder, Lieblingslieder, Lieder, die zusammen auf einem Album durchaus Sinn machen: Lieder von Produzenten wie Turner, Safety Scissors oder Justus Köhnke, von Bands wie Blumfeld oder Lali Puna, Remixe von Console für The Notwist oder Alter Ego für Phantom Ghost.

Darüberhinaus repräsentiert diese Compilation das Blatt, dessen Geschöpf sie ist, aufs beste: Denn mag die Spex nicht mehr die Definitionsmacht von einst haben, anerkennenswert ist trotzdem ihr Spagat zwischen Elektronik und Rock, zwischen De: Bug und Rolling Stone, zwischen Musik an den Rändern und MTV, zwischen Theorie und Trash. Nicht leicht, sich dabei nicht zerreiben zu lassen; nicht leicht auch, in so einer Position keine Bunkermentalitäten oder haufenweise Verschwörungstheorien zu entwickeln: Tobias Thomas hat das leider gerade wieder bewiesen, als er einen richtigen Text zum Terror, dem Krieg und den Medien schrieb, diesen aber münden ließ in eine Abrechnung mit den Feinden von Spex. Nun ja.

Zurück zu „Data Pop“, das, wie gesagt, ein schönes Album ist. Das aber wiederum unserem Fotografen Roland Owsnitzki wahrscheinlich nur zu einem müden Achselzucken animieren würde. Der war neulich bei einem Auftritt von Contriva und wunderte sich, wie lasch und lieblich es dort zuging und wie dankbar das Publikum trotzdem war. Keine Power, keine Aggressionen, kein nichts, kein gar nichts, schimpfte der in den Siebzigern und Achtzigern schon auf Konzerten rumstehende Herr Owsnitzki. Auch in diesem Sinn ist „Data Pop“ die Musik für die Generation zur Zeit. GERRIT BARTELS

Heute abend: Tobias Thomas, Superpitcher und Phantom Ghost, live im Cookies, Charlottenstraße 44, Mitte