„Kein bitterer Kompromiss“

Rot-Grün novelliert Naturschutzgesetz und erfreut so die Verbände. Jetzt droht nur noch die Vertrauensfrage

BERLIN taz ■ In einer vorgezogenen Abstimmung verabschiedete das Parlament mit den Stimmen der Koalition gestern die Bundesnaturschutznovelle. Ein kurzer Anruf beim Nabu, dem Naturschützerverband schlechthin, ergibt „große Zufriedenheit“. So was hört man selten.

Am Handy zählt Christoph Heinrich die Verbesserungen auf: Ein bundesweiter Biotopverbund auf einem Zehntel des Landes, das Ende des „naturschutzrechtsfreien Raumes“ in Nord- und Ostsee, ein Verbandsklagerecht, kein Kahlschlag in den Wäldern und der Ausbau von Hecken am Ackersaum. „Besonders am Herzen“ lägen dem Nabu, der einst Bund für Vogelschutz hieß, die einheitlichen Bauvorschriften zum Schutz der Vögel vor Hochspannungsmästen.

Im Hintergrund hört man Stimmengewirr und klingende Gläser. Heinrich befindet sich gerade auf einem Treffen der Geschäftsführer der Umweltverbände mit dem Umweltministerium in Bonn, wo die Novelle spontan gefeiert wird. „Diesmal war es kein bitterer Kompromiss“, resümiert Heinrich. „Dies ist eine der herausragenden Leistungen der Regierung.“

Während die Naturschutzbewegung feiert, mäkelt im Reichstag die Opposition. Cajus Julius Caesar, umweltpolitischer Sprecher der CDU, klagt über „zu viel Bürokratie“ auf Kosten der Landwirte. Marita Sehn spricht für die FDP gar von einem „Rückschritt“. Und die PDS hätte es besser gekonnt: Umweltsprecherin Eva Bulling-Schröter hält den Fortschritt für nur „bescheiden“.

Vermutlich hätte sie das nicht gesagt, hätte sie ihren Antrag in ihrer Fraktion ernsthaft mit der Lobby von Bau, Verkehr und Bauern abstimmen müssen. In CDU und FDP hingegen ist man klar auf Seiten der Landwirte. Seit Angela Merkels Mininovelle von 1998 muss den Bauern auch jede Tat für die Natur teuer bezahlt werden – was den Naturschutz fast zum Erliegen brachte.

In den parlamentarischen Beratungen war die Novelle an 74 Punkten verändert worden: meist zu Gunsten der Natur. So gelten jetzt auch für den Ausbau der Windkraft in der 12-Meilen-Zone naturschonende Einschränkungen. Und die Seeanlagenverordnung, die Bauten jenseits der 12 Meilen regelt, wird um einen Paragrafen zum Schutz des Vogelzuges erweitert. Beides gegen die Windkraftlobby bei SPD und Grünen.

An einer Stelle kamen SPD und Grüne dann doch den Bauern entgegen: Wer zu wenig Hecken und Ackersaumbiotope hat, muss die zwar ausbauen, kann dafür aber staatliche Förderprogramme in Anspruch nehmen. Damit können auch die Naturschützer leben.

So waren die Umweltpolitiker in den Koalitionsfraktionen gestern mehr als zufrieden. „Stolz“ zeigte sich Sylvia Voß, die für die Grünen die Federführung hatte. Nach der Debatte lud sie die Vorsitzenden der Natur- und Umweltverbände zum Empfang. Doch die frühe Feier ist riskant. Denn Voß gehört zu denen, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie dem Kanzler heute ihr Vertrauen aussprechen. Platzt die Koalition, könnte auch die Novelle noch scheitern. Wenn nämlich der Bundesrat Einspruch einlegt – was wahrscheinlich ist – muss der Bundestag ihn formal zurückweisen, bevor die Novelle in Kraft treten kann. MATTHIAS URBACH