Vertrauen ohne Identität

Grüne Zerreißprobe geht nach Vertrauensabstimmung im Bundestag weiter. Hamburger Friedensantrag für Parteitag vorgelegt  ■ Von Sven-Michael Veit

Die Debatte über das, was die Grünen einst Friedenspolitik nannten, geht weiter. Im Bundestag wurde gestern der Fortbestand der rot-grünen Bundesregierung gesichert, die Sicherung grüner Identitäten gelang damit nicht. „Eine ausführliche Diskussion“ kündigte bereits die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Angelika Beer für den Bundesparteitag am nächsten Wochenende in Rostock an.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion sprach gestern SPD-Bundeskanzler Schröder nur unter Bauchschmerzen das Vertrauen aus. In einer „persönlichen Erklärung“ übte die Parteilinke dennoch heftige Kritik am Krieg in Afghanistan, am militärischen Vorgehen der USA und an der „Verknüpfung innenpolitischen Machtkalküls mit einer Gewissensentscheidung“ durch den Kanzler.

Weiteren Zündstoff für den Parteitag liefert seit gestern ein Antrag von mehr als zwei Dutzend Grünen. Zu ihnen zählen neben sechs weiteren HamburgerInnen die frühere GAL-Chefin Kordula Leites und der Friedenspolitiker Uli Cremer, dem nach dem Kosovo-Krieg 1999 wegen seiner unverhohlenen Sympathien für den Regenbogen zeitweise der Parteiausschluss aus der GAL drohte.

In dem mehrseitigen Papier wird unter anderem gefordert, den „moralisch nicht gerechtfertigten Krieg“ in Afghanistan sofort zu beenden und stattdessen „humanitäre Hilfe“ zu leisten. Eine deutsche Beteiligung an dem Krieg wird ebenso kategorisch abgelehnt wie „die Verfolgung der Verantwortlichen vom 11.9.“ gefordert. Sollte Bin Laden „verantwortlich“ sein, wofür es keine „wirklichen Beweise“ gebe, müsse dessen „Auslieferung an ein internationales Gericht“ betrieben werden.

Der grüne Kieler Umweltminister Klaus Müller erwartet jedoch vom Parteitag keine Änderung des politischen Kurses. Er geht von einer Bestätigung der rot-grünen Koalition auf Bundesebene aus. Die nach dem Rücktritt des Parteivorstandes führungslose Hamburger GAL war gestern zu keiner Reaktion fähig.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) erwartet, dass der grüne Parteitag die gestrige Entscheidung respektiert. Sie könne „nicht wieder einkassiert werden“. Simonis geht davon aus, dass die Regierungskoalition „mit dem Thema durch ist“. Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz zeigte sich erleichtert über die Zustimmung bei einem schwerwiegenden Thema, das „kein normaler Punkt auf der Tagesordnung“ sei. Den „Zweiflern“ gebühre „Respekt“, denn es gebe viel „begründete Skepsis“. Durchgesetzt habe sich letztendlich „die Einsicht in eine politische Notwendigkeit, die nichts mit Hurra-Pariotismus zu tun hat“.