Herr Nixdorfs Gespür für Schnee

■ Das Alfred Wegener-Institut hat eine neue Expedition ins ewige Eis gestartet. Am Südpol soll in den nächsten vier Monaten geklärt werden, ob die Klimakatastrophe wirklich eintritt. Die ersten Expeditions-Flieger sind heute schon in Sevilla

Gibt's da Kühlschränke? Klar, mit lecker Mövenpick-Eis drin. Und wieviele Pinguine frisst ein Eisbär pro Tag? Keinen. Da gibt's keine Eisbären. Fragen über Fragen, die Uwe Nixdorf an diesem Tag mit eiskalter Ruhe über sich ergehen lässt. Schließlich ist der Mann mit dem Antarktis-Schlips einer von nur 40 Glaziologen – vulgo Gletscherforschern –, die es in Deutschland gibt, ein Experte in polaren Problemen sozusagen. Und: Das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) hat an diesem Tag jede Menge Journaille eingeladen, um seine nächste Südpol-Expedition zu promoten – mit dem Glaziologen und Geophysiker Nix-dorf als wissenschaftlichem Chef.

Es geht um die Mutter aller Fragen: Wie wird das Wetter? Um das herauszubekommen, hat der Süddeutsche Nixdorf in seinen Bremerhavener Jahren ein ganz besonderes Gespür für Schnee entwickelt. Aus ein paar Eisbrocken kann er ablesen, wie das Wetter in den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts aussah – und sogar, wie das Klima vor 500.000 Jahren war. „Nur wenn wir genau über das Klima der Vergangenheit Bescheid wissen, können wir genauere Vorhersagen über die Zukunft des Wetters machen“, sagt Nixdorf.

Und da stehen sie am Flughafen Bremerhafen-Luneort: Polar 2 und Polar 4, die stolzen Dornier 228, Forschungsflugzeuge mit ziemlich markigen Forschungspiloten, die jetzt für vier Monate ins ewige Eis sollen. Normalerweise kann man von Luneort nur nach Wangerooge oder Sylt propellern. Doch am Donnerstag ist der Fishtown-Airport zum Weltflughafen geworden. Polar 2 und Polar 4 starteten erstmals von ihrer neuen Basis Bremerhaven in Richtung Forschungsstation Neumayer, Deutschlands Außenposten am Südpol.

Vorführflug für die Presse. Es rumpelt und riecht nach Kerosin, Polar 2 und 4 donnern mit 200 Sachen in 130 Metern Höhe im Formationsflug die Bremerhavener Kajen entlang. Viele Böen, einem Kameramann wird schlecht, als der Flieger über der Nordsee eine Achterbahn-Sturzkurve dreht. Der Mann wäre nicht gerade expeditionstauglich.

„Wir werden viel und tief fliegen – es ist schon ein bisschen so wie da unten“, erklärt Co-Pilot Steffen Gemsa und redet von Wind, Schneetreiben und Fliegen auf Sicht: „Keine Flugrouten, keine Flugpläne, keine Slots – das ist echt harte Arbeit.“ Neben Luneort-Sekt (ein Geschenk vom Airport-Chef), Büchern, CDs und einem Rechner mit Internet-Anschluss hat er auch einen Lenkdrachen dabei – zum Entspannen, damit's am Pol nicht langweilig wird.

Expeditionschef Nixdorf startet in zwei Wochen ins Eis-Abenteuer, Polar 2 und 4 dürften am Samstag bereits schon im spanischen Sevilla zwischengelandet sein. Dann geht's weiter über Uruguay und Chile ins ewige Eis. „Früher sind wir über Afrika geflogen“, erklärt Heinz Finkenzeller vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das für den Flugbetrieb zuständig ist. „Die Route über Afrika haben wir aufgegeben, nachdem die Separatisten der Frente Polisario Mitte der 80er Jahre Polar 3 über der Sahara abgeschossen hat.“ 300 Flugstunden sind im antarktischen Sommer geplant, 90.000 Liter Flugbenzin hat das Forschungsschiff „Polarstern“ an Bord, das bereits zur Neumayer-Station aufgebrochen ist.

Per Radar werden die Flieger die Eisdicke an ausgesuchten Orten vermessen, um zu klären, ob die Eismenge in der Antarktis tatsächlich abnimmt, was ja viele vermuten.

„Viele reden von der Klimakatastrophe“, erklärt Heinrich Miller, Vize-Chef des AWI. „Aber wir glauben nicht, dass dieses Schreckensszenario eintrifft.“ Selbst wenn sich die Erde in den nächsten hundert Jahren zwischen anderthalb und fünf Grad erwärme, führe das nicht unweigerlich zu Riesen-Überschwemmungen. Vielmehr vermuten die Forscher, dass Grönland an Eisfläche verliert, während sie am Südpol zunimmt. Dadurch würde einem Anstieg des Meeresspiegels entgegengewirkt – und mindestens einige Südseeinseln vorm Absaufen bewahrt. Miller: „Aber wir haben bislang nur Modellrechnungen, die wir jetzt anhand von Daten aus den Inlandeisen verifizieren wollen.“

Tatsächlich scheint es dort unten noch eine Menge Dinge zu entdecken zu geben. Miller erwähnt beiläufig, dass die AWI-Leute vor zwei Jahren ein Gebirge von der Größe der Alpen ausfindig gemacht haben, 1.000 Kilometer lang, 200 Kilometer breit: „Und genau deshalb ist es wichtig, alles nochmal nachzumessen.“

Kai Schöneberg