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Gropius bei den Guppies

■ nestWerk – eine Ausstellung im Überseemuseum fahndet nach den Zusammenhängen von Architektur und Natur

„Ein Haus zu bauen liegt in der Natur des Menschen.“ Den Slogan der Bausparer kennen alle, aber eigentlich fangen da die Probleme erst an. Woraus baut man ein Haus? Wer? Womit? Überhaupt: Was heißt hier „in der Natur des Menschen“?

Glaubt man der Ausstellung nestWerk, dann ist der Hausbau zunächst mal eine Sache der Natur. Das fängt beim Termitenhügel an und hört beim Schneckenhaus noch lange nicht auf. Rund hundert Exponate haben die Wissenschaftler Horst Braun und Peter-René Becker vom Übersee-Museum zusammengetragen. Viele davon lagerten bereits in den Magazinen des Museums. So auch der Termitenbau, der jetzt für die Ausstellung in Hannover mit einer Hochgeschwindigkeitssäge in zwei Teile geschnitten wurde. Da sieht man das Labyrinth, in dem die kleinen Tierchen hausen. Das Hausen aber ist nicht der einzige Zweck, den die eigenen vier Wände im Tierreich haben. Sie sind auch da zum Schützen, Jagen, Brüten, ja, sogar zum Balzen und daraus folgenden Intimitäten. Für Letzteres ist ein afrikanischer Vogel namens Hüttengärtner berühmt. Er baut ein romantisches Zelthaus aus grünen Gräsern – einzig um die Dame seines kleinen Vogelherzens zu umgarnen. Die wiederum prüft erst mal, ob sich nicht was Bessres findet und wendet sich dem besten Häuslebauer schließlich zu.

In der Ausstellung geht es nun allerdings nicht um die Balz, sondern um Architektur. Auf vielfältige Weise lässt und ließ sich die Baukunst von der Natur inspirieren. 14 Beispiele zeigt die Ausstellung dafür, ausgeliehen wurden sie beim Deutschen Museum für Architektur in Frankfurt. Über den Status des Modells sind die meisten dieser „naturnahen“ Bauten nie hinausgekommen. So verstanden sich manche Architekten nur als Ideenspender, denen die Verwirklichung womöglich das entworfene Nest beschmutzt hätte. Manches Bauwerk aber wurde auch in die Tat um gesetzt. In Bremen: das Universum. „Da hat der Architekt gesagt, ich bau so plus minus einen Wal“, fasst Peter-René Becker die Absichten von Thomas Klumpp zusammen. Der Bau fällt unter das Label „Zoomorphe Architektur“, tiergestaltig heißt die korrekte Übersetzung dafür.

Aber auch Pflanzen geben Modelle ab: Das Rhododendron-Blatt hat im Entwurf fürs Bremer Rhodarium die Parkstruktur inspiriert, die Passionsblume mit ihrer schier überirdischen Regelmäßigkeit war Vorbild für Kirchenfenster und Rosetten. Nicht zuletzt sind Blütenblätter, womöglich mit Morgentau, die erste Assoziation beim metallisch-gleißenden Guggenheim-Museumsbau von Frank Gehry in Bilbao. Auch das Münchner Olympiastadion vom Architekten Frei Otto hat ein Vorbild: Sein Dach ist dem Netz einer Baldachin-Spinne nachempfunden, die übrigens auch in der Haus-Schau zu sehen. Ausstellungsmacher Horst Braun hat sie „auf einem Parkplatz beim Wal-Mart“ gefunden.

Eine andere Variante der Beziehungen zwischen (Bau-)Kunst und Natur ist die der „Als-ob-Inspiration“ (Becker). So sind die hohen Türme der gotischen Kathedralen, die mit wenig Material in den Himmel wollen und dann auch noch eine entsprechend ausgebuffte Statik benötigten, den Radiolarien, Einzellern mit Skelett, verblüffend ähnlich. Nur: die Bauherren der Gotik konnten diese gar nicht kennen. Mikroskope gab es erst ab 1750. „Da drängt sich die Frage auf: Gibt es so etwas wie eine natürliche Ästhetik?“, kommentiert Peter-René Becker. Eine Frage, die die Ausstellung freilich nicht beantworten kann. Sie zu bejahen, hieße, dass die Bauformen kulturunabhängige Ähnlichkeiten aufweisen. Immerhin diskutiert einer der vielen lesenswerten Aufsätze im ausstellungsbegleitenden Katalog die Thematik. Dort übrigens auch ein wundervolles Glossar, in dem Gropius neben den Guppies und Gehry neben dem Gemeinen Wasserdrachen steht.

Im Katalog wird auch die Architekturgeschichte durchforstet nach den „organoiden“ Auswüchsen des Bauens. Denn ob womöglich eine ,menschlichere' Architektur herauskäme, wenn man nur genug bei der Natur abschauen würde, ist eine Frage, die die Ausstellung weder stellt noch beantwortet. Der Wiener Stararchitekt Friedensreich Hundertwasser würde das sicherlich behaupten. Nur: Die meisten der natur-inspirierten Entwürfe sind Solitäre, einzelne Gebäude, die selbst wie Kunstwerke daherkommen und sich mit den sozialen Anforderungen an Architektur kaum beschäftigen. Um auf den Werbe-Slogan der Landesbausparkasse zurückzukommen: Häuser bauen mag in der Natur des Menschen liegen, aber interessiert das die Bausparkasse, wenn es eigentlich nur für einen B-Schein reicht?

Elke Heyduck

Ausstellungseröffnung morgen, Sonntag, um 12 Uhr. Die Sonderausstellung des Überseemuseumsist bis 28. April zu sehen.

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