Konsens-Hools wie du und ich

5:1 für England, und trotzdem freuten sich auch alle Engländer über die Qualifikation Deutschlands zur Fußball-WM: New Order zeigten sich in der ausverkauften Columbiahalle als freundlich-harmonische Stadionrocker von nebenan

Am Abend vor der „Vertrauensfrage“ versammelten sich die New-Order-Fans vollzählig im Hohen Haus am Columbiadamm. Wenn die Columbiahalle größer wäre und nicht Björk parallel in der Oper tremolierte, wäre das Votum für Bernard Sumner und seine Leute wohl noch klarer ausgefallen. Lustig war, dass die Band selbst eine Art Abstimmungergebnis auf zwei ihrer großen Monitorboxen auf der Bühne gepinselt hatte. Auf der einen Box stand fünf, auf der anderen „eins“.

Die Manchester-United-Fans von New Order wollten mit den beiden Zahlen auf die große Schmach der deutschen Fußballer gegen England anspielen. Meinte jedenfalls unser Fotograf. Fragt sich nur, ob die Band in jeder Stadt ihrer Tour andere Rätsel aufgibt. Anfang der Woche, in Paris, stand auf den Boxen: „Viva Salford“. Zumindest wenn man der irren Internet-Gigografie glaubt, auf der alle Konzert-Setlists seit der New-Order-Gründung 1980 verzeichnet sind.

Ob Salford auch ein Verein ist? Wie erwartet war Schwarz die Modefarbe des Abends. Man wird doch nicht seine Grundwerte verraten, von wegen Joy Divison als New-Order-Vorläufer und überhaupt die romantischen Achtziger! Die Neunziger verbrachten New Order ja sowieso zumeist im künstlichen Koma.

Von 1993 bis 2000 hörte man außer Gerüchten über Zerwürfnisse und Soloprojekte nicht viel. Einige meinten schon, „Blue Monday“ als bestverkaufte Maxi aller Zeiten nur noch auf Partys und Oldiediskos hören zu dürfen. Dabei waren New Order doch die Vorläufer von House und Techno. Und Indie waren sie auch. Eine Hitband aus der zweiten Reihe, die wie eine Geheimloge hinter dem Vorhang immer größer wurde. Heute sind sie nette Stadionrocker, die bei jedem Festival einer der Headliner sein könnten.

Sofort nach einer kabarettistisch angehauchten Ansagenummer, bei der der Tourmanager behauptete, wir sähen jetzt gleich Joy Division, beginnt aus dem Stand eine einnehmende und sehr konsensfähige Show. Auch wenn man kein großer Fan ist, unter dieser gemütlich puckernden Bettdecke möchte man nicht fehlen. Es beginnt dementsprechend flott mit „Crystal“. Die Luft wird immer dünner, die Bühne ist bunt und hell leuchtend, als hätten Kinder ihren neuen Farbkasten ausprobiert.

New Order machen immer mal einen Scherz, sagen dann „only joking“ und, hoppla, schon kommt der nächste Gassenhauer. Dass sie 1993, zum damaligen Abschied, die Fußballhymne „World In Motion“ verfassten, passt auch. Denn an diesem Abend sind wir alle brave Hools, die für beide Mannschaften sind, weil das so schön fair ist. Wie die Italiener wollen eben auch alle Engländer Deutschland bei einer Fußball-WM sehen.

Die Laune im Saal jedenfalls ist gut, und beim Bierholen lächelt man fremde Menschen an, sogar Männer, und klopft gemeinsam auf dem Bierbecher den Takt mit. Die Malteser versorgen derweil immer wieder blasse Mädchen, die im Foyer am Boden hocken. Nach gut einer Stunde ist schon Feierabend. „Blue Monday“ kam dann aber als Zugabe. ANDREAS BECKER