Nutze die Popkultur

Mitmachen oder das System ficken? Für Valerie Trebeljahr macht Popmusik nur Sinn, wenn man mit ihr auch poltische Inhalte transportieren kann. Heute abend spielt sie mit ihrer Band Lali Puna im Rahmen des Bärenmarke-Festivals in der Volksbühne

von THOMAS WINKLER

Das Rückgrat kehrt zurück in die elektronische Musik. Valerie Trebeljahr ist eher klein als groß, ziemlich zierlich sogar, und sie hat trotzdem eine eher schwere Aufgabe auf sich genommen. Sie nimmt nämlich wieder Worte in den Mund, die gerade eben noch tabu waren. „Es geht um Haltung“, sagt sie, und um „Stellung beziehen“. Darum, dass sie “konsequent bleiben möchte“ und „zur Zeit Statements fehlen“.

Das klingt nach politischer Liedermacherei, tatsächlich aber fertigt Trebeljahr unter dem Namen Lali Puna auf ihrem zweiten Album „Scary World Theory“ Miniaturen zwischen Elektronica und Low-Fi-Indie-Rock, die sanft verführerisch und zart melancholisch daherknuspern. Irgendwo unter dieser freundlich unverdächtigen Oberfläche aber wartet die politische Dimension.

“Es ist schwer, den Leuten ohne Worte klar zu machen, wo man steht“, sagt Trebeljahr. Deshalb hat sie Texte geschrieben im Gegensatz zu zumindest musikalisch verwandten Projekten wie Mouse on Mars oder Kreidler. Texte, die mehr sein wollen als nur Lautmalerei, modische Referenz oder Liebeserklärung. So heißt es in „Middle Curse“, man möge doch bitte seinen Job aufgeben, nicht mehr für Leute arbeiten, denen man nicht trauen könne: „Don’t hesitate, it’s

overdue/ Suit or revolt, it’s up to you.“

Ein „ganz naiver Punktextsei das, findet die Autorin selbst, und tatsächlich: Wer hat es denn in den letzten Jahren gewagt, solch eindeutige Handlungsanweisungen in die Welt zu setzen? Selbst die von Trebeljahr weiterhin tief bewunderten Goldenen Zitronen zeigten sich zuletzt arg ratlos, während nicht nur Jochen Distelmeyer im Video mit Helmut Berger den feinen Zwirn entdeckt hat. Scheinbar problemlos wurde im Pop der Anzug verbunden mit der Revolte – oder zumindest der revolutionären Pose. Blumfeld, findet Trebeljahr, haben ausgedient. Ebenso griffige Slogans wie „Meide die Popkultur“ von Peter Licht: Vor allem wenn der Urheber sich anschließend ausgerechnet an den Branchenriesen BMG verkauft. „Mir geht es eher um den Inhalt als um das Lied“, so Trebeljahr, „etwas zu sagen zu haben, ist der einzige triftige Grund, Musik zu machen. Alles andere ist nur komische Beschallung. Techno wollte nichts transportieren und das war damals auch gut, aber die Zeiten ändern sich und Musik reagiert darauf.“

Die Haltung, die Trebeljahr anmahnt „in Bezug aufs Musikgeschäft, aber natürlich auch auf die Gesellschaft“, ist zuerst einmal eine sehr persönliche. Sie hat vor kurzem ihren lukrativen Job bei einem großen, von Leo Kirch kontrollierten Privatsender aufgegeben, um sich ganz der Musik zu widmen: „Leute in meinem Alter, aus meinem Freundeskreis müssen sich gerade entscheiden, ob sie ein gesichertes Leben mit Bankkonto führen wollen. Man kann und will ja auch keinem Freund böse sein, dass er sich ans System anpasst, aber es ist ein bisschen frustrierend. Diese Grenzen habe ich gerade abgesteckt und darum drehen sich eigentlich alle Texte. Es geht um eine Haltung und die habe ich konsequent durchziehen wollen. Ich musste mich entscheiden: Mache ich mit oder nicht?“

Diese Frage zieht sich durch „Scary World Theory“ und ausgehend vom Privaten entdeckt Trebeljahr die Politik, aber als ein „sehr pessimistischer Mensch“ spricht aus allen ihren Texten vor allem grundsätzlicher Zweifel. Sie formuliert Ängste, „aber ich kenne keine Auswege, also kann ich auch keine aufzeigen.“

Vielleicht ist es die Musik, die bleibt, die Hoffnung macht. Jene watteweichen, flauschigen Tracks, in die man sich reinkuscheln könnte. Diese Musik, die schon auf dem viel beachteten Debut „Tridecoder“ und einigen Compilation-Beiträgen so unwiderstehlich war, dass sich mittlerweile Radiohead und Andy Weatherall als Fans bekannt haben und Tim Simenon für seine Comeback mit Bomb the Bass eine Kooperation mit Lali Puna anstrebte.

Kein Wunder, bilden Lali Puna doch den schönsten gemeinsamen Nenner aus den beiden Welten Elektronik und Indie. Nicht umsonst klingen sie wie die Quersumme aus Console und Notwist, denn auch sie rekrutieren sich aus dem scheinbar schier unerschöpflichen Fundus an Musikanten in und um Weilheim herum. Hier, südwestlich von München, lebt auch Trebeljahr zusammen mit Markus Acher (Notwist, Tied & Tickled Trio). Christoph Brandner (Console, Tied & Tickled Trio) und Florian Zimmer (Iso 68, Fred is Dead) komplettieren Lali Puna. Zusammen verbindet man eine klassische Bandbesetzung mit der elektronischen Grundlage, „denn ich will nicht dogmatisch zu werden“, so die klassisch am Klavier geschulte Trebeljahr, „man nutzt halt die Technik“.

Die Chefin aber ist Trebeljahr. Eine Tatsache, die man dann doch immer wieder herausstellen muss: In der Besprechung von „Scary World Theory“ hat das englische Avantgarde-Zentralorgan Wire Lali Puna in einem typischen Reflex zum Nebenprojekt von Acher gemacht und Trebeljahr zur Stimme und Textlieferantin degradiert. Deswegen führt sie die Interviews allein. „Deswegen wollte ich zuerst auch ganz alleine arbeiten. Ich wollte nicht, dass Markus mitmacht, weil dann wieder die Nebenprojekt-Geschichte anfängt. Es ist mir wichtig, nicht nur als Sängerin gesehen zu werden. Aber dann habe ich gemerkt, dass es gut für die Musik ist, weil wir gut zusammen funktionieren. Also habe ich mir gesagt: Wenn Du die nächsten zehn Jahre nur noch Notwist-Nebenprojekt genannt wirst, musst Du das eben schlucken.“ Ein paar wenige Kompromisse macht im Notfall also auch Valerie Trebeljahr.

Bärenmarke-Festival: Lali Puna, Mina, Louie Austen und viele andere, Sa,19 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxenburg-Platz