Fortbildung für Wowereit bei Käsekuchen

Susanne Stumpenhusen, die Landesbezirksleiterin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, kann mit dem Begriff „Macht“ nicht viel anfangen. Nach einem Gespräch mit ihr aber fand Klaus Wowereit (SPD) betriebsbedingte Kündigungen gar nicht mehr so toll. Ein Besuch bei einer mächtigen Frau

von PHILIPP GESSLER

Was ist Macht? Wie viele Bataillone hat der Papst?, hat Stalin gefragt. Ist es Macht, eine Sachfrage mit einer Vertrauensfrage zu verknüpfen und dadurch die Koalition auf Linie zu bringen? Wie viel Macht liegt in einer globalisierten Weltwirtschaft noch in den Händen der Politiker? Und haben Gewerkschaften Macht?

In Berlin scheinen einige dieser Ansicht zu sein: Als vor einiger Zeit die B.Z. eine Serie über die Schreibtische der mächtigsten Männer und Frauen der Stadt machte, kam ein Fotograf ins Büro von Susanne Stumpenhusen, der Landesbezirksleiterin Berlin-Brandenburg der Dienstleistungsgesellschaft Ver.di. Er musste in ein Bauhaus-Gebäude von Bruno Taut, das noch aus jener Zeit stammt, da mit Schwerindustrie, Kohle und Stahl auch die Gewerkschaften ihre große Zeit hatten. Anfang der 90er-Jahre zog die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) an den geschwungenen Bau am Engeldamm in Mitte: Schön ist die Stadt hier nicht. Eher einem brachliegenden Baufeld gleicht die Gegend.

Auch der Schreibtisch Susanne Stumpenhusens macht nicht so viel her – eine Glasplatte mit viel Papier. Dafür verrät das Ölbild hinter dem Stuhl der 46-Jährigen einen guten Geschmack: Zu sehen ist eine Hafenszene nahe der Oberbaumbrücke. Es ist eine Leihgabe des Künstlers, ein passender Schmuck für das Büro einer Gewerkschaftsfunktionärin.

Die schweigt kurz bei der Frage, ob sie Macht habe, und wiederholt es noch einmal: „Macht?“ Susanne Stumpenhusen bläst kurz die Backen auf – und antwortet mit der typischen Politikerentgegnung auf ähnliche Fragen: „Einfluss“ habe sie schon, sagt sie, aber Macht, das sei doch eher die Macht ihrer Mitglieder. Klar, der Ver.di-Landesverband sei größer als der der Industriegewerkschaft Metall. Und Ver.di sei die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Aber Macht?

„Wir sind nicht der Befehlsempfänger der Gewerkschaften“ – das zu sagen, sah sich der SPD-Landeschef und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder genötigt, als Susanne Stumpenhusen mit Vertretern anderer Weiße-Kragen-Gewerkschaften die Sozialdemokraten vor zwei Jahren mit den Vorwurf konfrontierte, sie entfernten sich von grundsätzlichen Arbeitnehmerinteressen. Begründung: der Verkauf von Gesellschaften wie Bewag, Gasag und den Wasserbetrieben sowie die Lockerung des Ladenschlussgesetzes. Und ist es nicht Macht, wenn sich der damalige SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit Anfang Juni für betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst ausspricht – und keine zwei Wochen später als Regierender Bürgermeister auf dem Ver.di-Kongress erklärt: Betriebsbedingte Kündigungen seien „nicht kreativ und zu teuer“?

Susanne Stumpenhusen denkt mit einem Lächeln an diese Wendung der politischen Ansichten Wowereits zurück: Er habe eben eine „kleine Fortbildung“ bei ihr bekommen, sagt sie in ihrem Büro. Hier habe der Regierende Bürgermeister gesessen und „Käsekuchen gegessen“. Macht? „An Stumpenhusen“, sagt ein erfahrener Gewerkschaftler von außerhalb, komme eine Ampelkoalition „nicht vorbei“ – was übrigens nicht nur eine Angelegenheit der SPD sei: „So klug ist Rexrodt auch.“ Und so ist es gar nicht so schwer vorstellbar, wie Susanne Stumpenhusen mit ihrem netten Lächeln in Verhandlungsrunden sitzt und „knallharte Klientelinteressen“ durchsetzt, wie es ein Kollege anerkennend ausdrückt.

Schon die große Koalition unter Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU) hatte 1999 betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst bis Ende 2004 ausgeschlossen – ein Coup Susanne Stumpenhusens, der ihr viel Anerkennung in der Gewerkschaftsszene eingebracht hat. Wowereit jedenfalls trat auf dem Ver.di-Kongress im Juni der Dienstleistungsgewerkschaft bei, nachdem Susanne Stumpenhusen ihm eigenhändig einen Beitrittsantrag gegeben hatte. Ein Entschluss des Regierenden Bürgermeisters offenbar ganz nach der klassischen Herrschaftstaktik: „If you can’t beat them, join them.“

Über 140.000 Bedienstete arbeiten in Berlin im öffentlichen Dienst. Seit 1992 sind im Land mehr als 60.000 Stellen gestrichen worden. Dennoch besteht der Landeshaushalt immer noch zu rund 70 Prozent aus Ausgaben für das Personal. Klar will man da sparen – in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen wird zwischen SPD, FDP und den Bündnisgrünen eine Senkung der Personalkosten um bis zu 2 Milliarden Mark eingeplant. Das hält auch Susanne Stumpenhusen für „unrealistisch“: Ihr sei absolut nicht klar, wo dafür bis 2006 mindestens 30.000 Stellen gestrichen werden könnten.

Vielleicht klingen solche Äußerungen bei ihr ein wenig authentischer, weil ihre Karriere selbst mit dem Thema „Stellenabbau“ so eng verknüpft ist: Als Tochter einer Familie, der die Tankstelle vom Dorf Calberlah im niedersächsischen Kreis Gifhorn gehörte, war ihr die Gewerkschaftsarbeit nicht gerade in die Wiege gelegt worden. Doch als sie nach einem zehnjährigen Studium der Soziologie, Politologie, Psychologie und Theaterwissenschaften 1984 als Diplomsoziologin an der FU arbeitslos wurde, entdeckte sie den Wert gewerkschaftlicher Arbeit: Susanne Stumpenhusen hangelte sich fünf Jahre lang von ABM-Stelle zu ABM-Stelle, fand „Spaß“, wie sie sagt, in der Vertretung dieser Arbeitnehmergruppe und erklomm so anscheinend fast mühelos die Leiter der stets als verkrustet verspotteten Gewerkschaftshierarchie – so hoch übrigens, dass die allein erziehende Mutter eines siebenjährigen Sohnes kurz als neue Bundesvorsitzende von Ver.di im Gespräch war.

Davon redet Susanne Stumpenhusen jedoch nicht so gern. Überhaupt, erzählt ein Mitarbeiter von ihr, komme sie intern auch deshalb so gut an, weil sie sich bei aller Kollegialität in ihrer pragmatischen Arbeitsweise knapp und präzise auszudrücken wisse. Und vielleicht ist das am Ende ja auch ein Zeichen von Macht: dass sie wenige Worte braucht.