Neue Explosionen

Gespräch mit Ewald Lienen, Trainer des 1. FC Köln, über den Krieg der Medien und den in Afghanistan

taz: Sechs Niederlagen in Folge. Heute das Derby gegen Leverkusen. Wie lange sind Sie noch Trainer in Köln?

Ewald Lienen: Immer diese Frage. Sportlich sind wir in einer schwierigen Situation, keine Frage. Aber ich denke nicht eine Sekunde darüber nach, was ist, wenn wir noch ein Spiel verlieren und noch eins und noch eins.

Warum ist das zweite Jahr immer so schwer?

Ich bin in Köln im dritten Jahr Trainer ...

... im zweiten Erstligajahr!

Ach, das sind doch akademische Hilfskonstruktionen und pauschale Vergleiche. Man kann nicht zwischen Duisburg, Rostock und Köln vergleichen. Probleme, die Erfolgsspur zu finden, gibt es immer. Auch letzte Saison – also bitte: meinem zweiten Jahr – konnten wir anfangs nicht Tritt fassen. Die Mannschaft hat dann am Limit gespielt, wir waren am Ende als Aufsteiger Zehnter. Das war Gift für die Kölner Mentalität, für Medien, Spieler, für alle. Das Hochjubeln haben manche nicht verkraftet.

Mitte Oktober hatte eine massive Medienkampagne in Köln ihren Höhepunkt erreicht. Dann wurde es kurioserweise mit jeder Niederlage ruhiger. Die Fans feiern: „Ewald, wir Lienen dich!“

Die Fans spüren, wie sich die Mannschaft aufbäumt, dass es besser geworden ist, auch wenn die Ergebnisse uns noch nicht begleiten. Und die Fans schließen sich mit uns zusammen gegen die wirklich böse Kampagne vor allem der Bild-Zeitung. Die Diffamierungen gingen ja schon beim ersten Spiel los. Dann kamen immer neue Explosionen. Was in der Boulevardpresse manchmal passiert, ist gezielte Verleumdung, unter aller Gürtellinie. Da wird mit kriminellen Methoden und erfundenen Geschichten gearbeitet, um auf übelste Weise Unruhe zu erzeugen und die eigene Macht durchzusetzen. In unserer Medienlandschaft ohne jede Moral kann man offenbar lügen und betrügen, wie man will.

Das hinterlässt bei Ihnen persönlich Spuren?

Wenn ich über Wochen persönlich diffamiert und beleidigt werden soll, trifft mich das nicht mehr. Ich bin stark genug. Nein, was da auch passiert an Verleumdung, das fällt auf die Verursacher zurück. Die werden irgendwann im Leben dafür bezahlen.

Gibt es noch Zeit und Muße für den politischen Menschen Ewald Lienen?

Was in den 80er-Jahren war, war wichtig und ich bin stolz darauf, Teil der Bewegung damals gewesen zu sein, von Protest in alle möglichen Himmelsrichtungen. Alles zu seiner Zeit. Aber Einmischen bleibt, sonst braucht man hier keine Demokratie zu veranstalten.

Stichwort Afghanistan.

Nach den Terroranschlägen ist die Zeit reif, mal darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass Menschen sich selbst so gering schätzen und sich opfern. Was haben wir zu dieser Verzweiflung und Wut beigetragen? Diese Kluft zwischen Arm und Reich – müssen wir da nicht radikal umdenken? Wenn ich mich darüber als Person des öffentlichen Lebens äußere, spreche ich viele Leute an. Und viele denken wie ich, wollen es aber nicht so offen sagen.

Wie merken Sie das?

Am 12. September war ich bei Stern tv. Darauf bekam ich eine unglaubliche Zahl an Reaktionen. Die Homepage des FC Köln ist überflutet worden, Telefonanrufe ohne Ende, Mails, Briefe. Viele haben geschrieben: Sie haben mir so aus der Seele gesprochen! Dabei hatte ich nur gesagt, dass trotz der großen Trauer über New York nicht der Zeitpunkt für Vergeltung und Rache gekommen ist. Früher, in meiner Zeit als Aktivist, haben wir Demonstrationen gemacht und immer gesagt: Tut dies! Lasst das! Dieser typische Reflex politischer Arbeit: Wir sind gut, die anderen müssen sich verändern. Ich habe im Laufe meines Lebens gemerkt, dass Veränderungen vor allem dann passieren, wenn man sich selbst verändert. Im Arbeitsfeld, auf der Straße, in der Familie, überall. Wenn jeder bei sich selbst anfängt, ist das ein viel revolutionärerer Gedanke, als ständig auf die Straße zu rennen.

... und die Fernsehzuschauer?

... haben sich sehr ermutigt gefühlt, selbst was zu tun, den Mund aufzumachen, sich damit zu verändern. Aber gut, es wird gebombt. Nächste Woche spielen wir in St. Pauli. Wenn die Paulifans nach dem Spiel eine Kundgebung machen gegen den Krieg in Afghanistan, gut, dann bin ich dabei. Jederzeit. Flagge zeigen ist doch selbstverständlich.

INTERVIEW: BERND MÜLLENDER