Pazifismus braucht einen Platz in der SPD

Auch wenn frau dafür aus der SPD-Fraktion austreten muss. Die gewissenstreue Abgeordnete Lörcher hat es getan

Ihr härtester Opponent der letzten Tage bleibt für sie immer noch der „liebe Peter“. Die SPD-Abgeordnete Christa Lörcher hat einen Aufsehen erregenden Schritt getan: Sie verließ die SPD-Fraktion noch vor der Vertrauensabstimmung. Und brachte Fraktionschef Peter Struck in eine heikle Lage. Die Rücktrittserklärung an Peter Struck hat sie knapp gehalten. Und dann noch einen zusätzlichen, erklärenden Brief an den „lieben Peter“ geschickt. Auch darin bleibt Lörcher freundlich im Ton, doch fest in der Sache. Das NEIN zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat sie groß geschrieben: „Militärische Mittel lösen Konflikte nicht, sondern sie verschärfen und vergrößern Elend, Hass und Solidarisierung auf der anderen Seite.“

Nach 30 Jahren Mitgliedschaft schlägt in beiden Briefen zwischen den Zeilen doch das warme Herz der Parteisoldatin für die Sozialdemokratie. In ihrer pazifistischen Position ist sie beinhart geblieben. Die 60-jährige Abgeordnete, die ihren Wahlkreis Villingen-Schwenningen im baden-württembergischen Süden seit 1993 im Bundestag vertritt, ist erst durch die Niederlegung ihres Fraktionsmandats bekannt geworden. Der Partei oder gar der Regierungskoalition wollte sie ebenso wenig schaden wie sich selber untreu werden. Seit Wochen hatte sie sich gegen die Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik ausgesprochen, am Ende die Diskussion darüber abgebrochen. Appelle der Südwest-SPD halfen ebenso wenig wie Gesprächsangebote des Bundeskanzlers. Sie wünsche sich, schrieb sie dazu, dass der Pazifismus in der SPD „noch einen Platz hat“.

Lörcher ist 1941 als eines von neun Kindern einer Pfarrersfamilie in Mewe in Polen geboren. Krieg, Vertreibung und Flucht haben sie schon als Kind geprägt. An der Universität Tübingen studierte sie Mathematik und Physik, engagierte sich in Protestbewegungen. Sie heiratet und verliert ihre beiden Kinder durch die tückische Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose.

Christa Lörcher gerät in eine Lebenskrise. Die Lehrerin und Autorin von Mathematikbüchern wechselt mit 40 Jahren den Beruf, weil sie Kinder nicht mehr unterrichten kann, aber dennoch Menschen helfen will. Sie macht eine Ausbildung als Altenpflegerin, unterrichtet an einer Altenpflegeschule und betreut psychisch kranke alte Menschen. Und sie will auch in der Gesellschaft sozial etwas bewegen. 1989 wird sie für die SPD in den Kreistag gewählt und wird 1993 Bundestagsabgeordnete. Dort wirkt sie mit einer 80-Stunden-Woche eher im Stillen, leitet die Arbeitsgruppe Migration/Integration, arbeitet für Frauen, Senioren, Jugend, Familie, für Alterssicherung, Gesundheit und Pflege. Seit 1999 ist sie Mitglied der Deutschen Delegation im Europarat.

Christa Lörcher hat angekündigt, dass sie ihr Mandat als Fraktionslose bis zum Ende der Legislaturperiode behalten möchte: „Einer anderen Fraktion werde ich mit Sicherheit nicht beitreten.“ Ihren Abschied aus der Politik hatte sie schon zu ihrem 60. Geburtstag angekündigt. Sie hat sich schon eine neue, schwere Aufgabe gesucht. Im kommenden Jahr will sie im bisher einzigen Gefängnis für alte Menschen in Singen arbeiten. Dort sitzen straffällig gewordene Männer und Frauen im Alter von über 60 Jahren. Christa Lörcher will bei deren Resozialisierung helfen.

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