peter unfried über Die Charts
: I guess that‘s why they call it the blues

Wer Elton John hört, ist super-in. Aber was nützt das, wenn man von Menschen umgeben ist, die keine Ahnung haben?

IN Um ehrlich zu sein: Ich tat es nicht aus Berechnung. Nein. Ich bin so. Nicht verkrampft supertrendy. Nicht verbissen jung geblieben. Nein: reife Sophistication. Was immer das ist. Super entspannt. Auf der Höhe der Zeit. Aber nicht konventionell oder berechenbar. Sonst würde ich ja die neue Pulp oder Super Furry Animals auflegen, wenn Leute vorbeikommen. Aber dafür kriegt man allenfalls ein Kopfnicken.

Ich wollte sie auch nicht fertig machen. Ich wollte nicht, dass sie nach Hause gehen und in ihr Kissen heulen. Vor Neid. Ich wollte nur, dass sie sagen: Ooooh. Unfried – diese dreckscoole Sau.

Deshalb legte ich diese CD ein. Tat beiläufig. Aaah. Daaaas Piano. Diiiie Stimme.

Na?

Testperson Nummer 1 (30) sagte kein Wort. Seltsam. Ich dachte, er sei auf der Höhe der Zeit. Kaufte neue Platten. Wusste, dass irony niemals over sein kann. Ex-Grünenwähler.

Uncool. Musste nachfragen.

„Was sagste zu der Musik?“

„Welcher Musik?“

„Die, wo da grad läuft.“

Stille. Dann: „Ist . . . das . . .“

Endlich. Na?

“. . . Elton John?“

Yes, Sir. Das ist Elton fucking John. Und wie er das ist.

*

Irgendwer hat behauptet, Elton John sei eine Institution wie die Beatles und die Rolling Stones. Wahr ist eher, dass auch seine besten Jahre um 1970 schon wieder vorbei waren. Seine Freunde wurden ermordet (Gianni Versace, John Lennon) oder totgefahren (Diana Spencer) oder starben an Aids. Sein Football Club Watford stieg ab. Und wenn man die Augen schließt, sieht man nur: Brillen, Perücken, Kostüme, Drogen, Geschmacklosigkeit.

Geschmacklosigkeit ist ja praktisch nur ein anderes Wort für Elton John. Seit über 25 Jahren gab es daher eine Vereinbarung aller aufrechten Menschen der westlichen Welt, dass man über Elton John nicht spricht. Geschweige denn seine Platten hört. Im Bundestag hätte ein Kampfeinsatz gegen ihn vermutlich alle Stimmen bekommen.

Und genau deshalb gilt: Wer heute ein Abweichler ist, der ist morgen ein Held.

*

Testperson 1 schien das noch nicht zu wissen.

„Ist das nicht der mit ‚Crocodile Rock‘?“

Der Arsch lachte sich halb tot. Zu jung und unreif. Ich nahm ihm sein Bier weg.

Einen Tag später. Testperson 2. Kaufte trotz hohen Alters (41) immer noch neue Platten. Soeben zum künftigen ehemaligen Grünenwähler konvertiert. Kurzum: ein immer noch dazulernender, kluger, sensibler Mensch. Er würde verstehen.

„Ist das Elton John?“

Stolzes Nicken.

„Seit wann bist du homo?“

Uncool, aber ich musste ihm den Witz erklären. Darauf hinweisen, dass Elton John IN ist. Genauer gesagt: seine neue Platte, „Songs from the Westcoast“. Weil sie seventies-styled ist! Retro. Erst hatten die Leute im Kino feuchte Augen gekriegt, als in Cameron Crowes Rock-‘n‘-Roll-Märchen „Almost Famous“ ein uralter Elton-Song gelaufen war. Dann hatte ihn ein Nashville-Countrysänger in die Retro-Spur geschickt. Das ist der Witz. Das hat Geschmack.

„Cameron Crowe! Nashville! Country!“ Sagte ich. Oh, Mann, war das sophisticated!

Testperson 3 ignorierte das und begann weitschweifig zu erklären, warum sie immer noch und gerade jetzt Pazifist sei.

Ich schrie: „Menschen reden erstmals über seine Musik!“

Er sagte: „Rudi Völlers Haarschnitt ist gar nicht mehr so peinlich. Ist dir das aufgefallen?“

*

Testperson 4 (w., 27, Loft in Berlin-Mitte, Ex-Grünenwählerin): „Welcher Elton John?“ Testperson 5 (m., 51, Ex-Grünenwähler): „Kannst du dein Geld nicht für Afghanistan spenden?“

Ich schrie: „Wo lebt ihr? Super-Moritz von Uslar hat ihm grade im SZ-Magazin die super-sophisticated 100 Fragen gestellt.“

Testperson 6 (Journalist): „Na, das ist doch der beste Grund, ihn erst recht zu ignorieren.“

Ich würde durchhalten. Aber dann kam ein Einjähriger (Sohn ehemaliger Grünenwähler) in die Wohnung gewackelt. Er ging sofort zum Tuner und drückte auf die Off-Taste. Ich konsultierte einen Popmusikjournalisten. Er hatte von der Platte gehört. Aaah. Letztlich konnte er aber das „gesellschaftliche und wirtschaftliche Risiko“ nicht eingehen. Dann telefonierte ich mit meiner Großmutter.

„Was hörst du da? Ist das Elton John?“

Sie schwärmte von dem schönen Diana-Lied und beglückwünschte mich zu meinem Geschmack.

OUT Ich habe die CD im Secondhandladen verkauft. Bzw. verschenkt. Der Kerl wollte die geforderten 50 Pfennig nicht zahlen. Na ja. Wir leben in einer Demokratie. Mittelmaß regiert. Subtilste Sophistication nützt nichts, wenn man von unsensiblen Menschen umgeben ist, die nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Leckt mich doch alle.

Um ehrlich zu sein: Die Musik ist natürlich wirklich Scheiße. Aber darum geht es ja nicht.