Sind Globalisierungskritiker Terroristen?

Innen- und Justizminister der EU beraten über die Definition von Terrorismus und den europäischen Haftbefehl

BRÜSSEL taz ■ „Nur noch etwas Feinarbeit ist notwendig“, dann kann nach Überzeugung des deutschen Justizstaatssekretärs Hansjörg Geiger ein Auftrag von höchster Stelle als erledigt betrachtet werden. Beim Gipfel in Gent hatten die EU-Regierungschefs ihre Justizminister beauftragt, einheitliche Rechtsinstrumente zu schaffen, um Terroristen wirksamer verfolgen zu können. Gestern berieten darüber Justiz- und Innenminister der Mitgliedsstaaten erneut.

Die „Feinarbeit“ allerdings könnte tückisch werden – es wäre nicht das erste Mal, dass bei den Juristen die eigentlichen Schwierigkeiten in Detailfragen verborgen sind. Unstrittig ist inzwischen, dass die bilateralen Auslieferungsabkommen in der EU durch einen einheitlichen europäischen Haftbefehl ersetzt werden sollen. Nach dem jetzigen Verfahren prüfen die zuständigen Stellen im Auslieferungsland, ob das Ersuchen zulässig ist. Diese Hürde fällt künftig weg. Staatssekretär Geiger allerdings glaubt nicht, dass damit die Auslieferung aus Deutschland beschleunigt wird. 47 Tage vergingen letztes Jahr durchschnittlich, bis ein Straftäter in dem Land ankam, das eine Auslieferung aus Deutschland beantragt hatte. Beim EU- Haftbefehl kann sich jedes Land 60 Tage Zeit lassen und die Frist nochmals um 30 Tage verlängern.

Homosexualität ist in Österreich strafbar, Euthanasie in vielen EU-Ländern verboten, Abtreibung wird in Irland und Portugal gerichtlich verfolgt. Um Konflikte in solchen Fällen zu vermeiden, einigten sich die Minister auf eine Positivliste. Nur Tötungsdelikte, Rassismus, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Vergewaltigung und andere schwere Delikte fallen unter den Anwendungsbereich des europäischen Haftbefehls. Allerdings steht auch Beihilfe zu illegaler Einreise auf der Liste – was in Deutschland für Zündstoff sorgen dürfte. Denn dort wird derzeit noch diskutiert, ob Fluchthilfe auch dann geahndet werden soll, wenn humanitäre Motive dahinter stecken.

Kohannes van der Klauw vom UNHCR in Brüssel steht dem europäischen Haftbefehl kritisch gegenüber. Es dürfe nicht vergessen werden, dass sein Anwendungsbereich schon bald auf die neuen Mitgliedsländer ausgedehnt werde. „Diese Länder haben weniger fortschrittliche Menschenrechtssysteme – der juristische Schutz der ausgelieferten Personen ist nicht immer garantiert“, warnt der UNHCR-Vertreter. Auch die geplante einheitliche Terrorismus-Definition sieht er kritisch. Zwar betonen alle EU-Justizminister, die Formulierungen würden so gewählt, dass Globalisierungsgegner oder Gewerkschaftler nicht kriminalisiert werden könnten. Aber die Grenzen sind fließend: Wer die Bevölkerung einschüchtert, Regierung und Behörden nötigt und die Infrastruktur eines Landes zerstören will, soll EU-weit als Terrorist verfolgt werden. Wer eine terroristische Organisation leitet, soll mindestens für zwanzig Jahre hinter Gittern verschwinden.

Auch dieses Konzept der einheitlichen „Mindesthöchststrafe“ macht Deutschland Kopfzerbrechen. Denn nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts muss selbst ein „Lebenslänglich“ nach fünfzehn Jahren überprüft werden. Trotz dieser Widersprüche zwischen den nationalen Rechtssystemen ist die belgische Präsidentschaft entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen und möglichst schnell zu einer Einigung zu kommen.

DANIELA WEINGÄRTNER