Angekommen in der bitteren Wirklichkeit

■ Mit einem 0:0 gegen Schalke 04 ist der Hamburger SV wieder auf dem Sofa der Psychiater angekommen. Präsident Hackmann will ein paar Millionen aus der Schatulle nehmen

Auswechselspieler Marcel Ketelaer war einer der wenigen HSV-Profis, die nach dem spielerisch schwachen 0:0 gegen Schalke 04 lächelnd in den Mannschaftsbus stiegen. Der Außenbahnspieler wirkte nicht schadenfroh, konnte aber ebenso wenig seine Meinung darüber verbergen, dass die mäßige Verzahnung von Mittelfeld und Sturm im Spiel des HSV seine eigenen Einsatz-Chancen zukünftig erhöhen könnten.

Erstmals seit seinem Amtsantritt verzichtete HSV-Trainer Kurt Jara auf alle seine Flügelspitzen (Marek Heinz, Marcel Ketelaer und den angeschlagenen Collin Benyamin) und musste miterleben, wie ungefährlich eine Mannschaft sein kann, deren wenige Stärken man ignoriert. Jara setzte, ähnlich wie im Spiel gegen die Bayern (0:3), auf eine vorsichtige Taktik-Formation (3-5-2), stellte Tomas Ujfalusi vor die Abwehr und ließ links mit Stig Töfting und Bernd Hollerbach sowie rechts mit Jörg Albertz und Marcel Maltritz erstmals zwei Pärchen beweisen, wie destruktiv der Fußball des einstmals offensiven HSV noch werden kann. „Wir haben das heute das erste Mal gespielt und werden das weiter probieren“, drohte Jara an und besiegelte mit der taktischen Neuausrichtung die Ankunft seines Vereins im grauen, unteren Mittelmaß der Liga.

Zwar bewiesen die Rot-Weißen Stärken in der Defensive, wie zum Beispiel Ingo Hertzsch, der Gerald Asamoah abmeldete, waren aber offensiv so pfiffig und spritzig, wie die Hitparade der Volksmusik. Sergej Barbarez und Erik Meijer, von Jara im Sturm aufgeboten, schunkelten nach Spielende gemeinsam zum selben Refrain: „Vom Mittelfeld kam nie ein Ball in die Spitze“ und beschwerten sich, „dass der letzte Pass nie ankam“.

Die Pässe gingen ein ums andere Mal quer statt steil. Wie auch die Fans, die bereits nach 45 Minuten genau spürten, dass Schalke nur durch einen Zufall zu schlagen sein würde. Ähnlich sah es auch Schalke-Trainer Huub Stevens, der aufgrund der zahlreichen Chancen seiner Knappen selbstsicher rhetorisch fragen durfte, dass man ja wohl gesehen hätte, „wer hier überragend war und wer nicht“.

Eine Frage, die Kurt Jara nicht zu beantworten brauchte, nachdem der Österreicher bereits gestanden hatte, dass seine Mannschaft verunsichert agiert hatte. Es sei ein psychologisches Problem, welches durch „die Medien“ verstärkt würde. Die würden den HSV vor den schweren Spielen jetzt gegen Geg-ner wie Leverkusen und Dortmund den spielerischen Mut nehmen, glaubt Jara und legt sich und den Patienten HSV wieder auf das Psychologen-Sofa.

„Wir haben ein Problem damit, das Spiel zu Hause zu machen“, sagte Barbarez, der wie Kapitän Nico Jan Hoogma („Es stand niemand frei, und da habe ich den Ball zum Torwart zurückgespielt“) mit dem Ergebnis vielleicht zufrieden sein konnte, mit dem Spiel aber allemal nicht.

„Wir müssen aufpassen, das wir nicht ganz hinten reinrutschen“, sagte HSV-Chef Werner Hackmann. Der besorgte Präsident öffnet die Vereinskassen ein weiteres Mal, um die Mannschaft für einen „zweistelligen Millionenbetrag“ zu verstärken. „Wir wollen noch einen Spieler, der die Lücken zwischen Mittelfeld und Sturm schließen kann“, sagt Jara, der mit Manager Holger Hieronymus vor dem Prob-lem steht, dass es nur Spieler über diesem Preisniveau (Thomas Gravesen) oder unter dem Spielniveau (Fredi Bobic) der jetzigen Mannschaft gibt.

Bis zu einer verträglichen Lösung kann Erik Meijer auf die Feststellung, dass der HSV unterdurchschnittlich Fußball spielt, weiterhin entgegnen: „Da stehen wir ja auch in der Tabelle.“ So bitter ist die Wirklichkeit. Oke Göttlich