„Aufrüstung“ verhindert keine Terroranschläge

■ Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Goessner sprach im Rechtsausschuss des Bundestags als Sachverständiger: 80 Prozent des „Sicherheitspaketes“ hält er für unverhältnismäßig

Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner hat zahlreiche Bücher über das Verhältnis von „innerer Sicherheit“ und Bürgerrechten geschrieben. Vor einem Jahr erschien „Big Brother & Co. – Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft“. Der Rechtsausschuss des Bundestages hörte Gössner vor einer Woche als Sachverständigen zu Schilys erstem Sicherheitspaket an. Der taz bremen erläuterte er seine Position.

taz: Welches sind die gravierendsten Eingriffe in die Bürgerrechte in Schilys Sicherheitspaketen?

Rolf Goessner: Schwer zu sagen bei der Fülle der Vorschläge. Erweiterte Polizei- und Geheimdienstbefugnisse, engere Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane, Ausdehnung der Telekommunikationsüberwachung, Erfassung biometrischer Daten – all das sind ja schon für sich genommen schwerwiegende Eingriffe in die Bürgerrechte, in rechtsstaatliche Prinzipien. Über die einzelnen Maßnahmen hinaus müssen wir untersuchen, welche Folgen ihr Zusammenwirken hat; ob vielleicht die ganze Struktur des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats verändert wird. Das lässt sich im Moment noch sehr schwer voraussagen.

An welchen Punkten mussten Sie richtig schlucken?

Vor allem bei der biometrischen Erfassung, weil das die ganze Bevölkerung betrifft. Wenn solche Daten – etwa Fingerabdrücke oder Gesichtsgeometrie – in den Personalausweis kommen, muss man sich fragen: Was passiert eigentlich damit? Es werden womöglich Hintergrunddateien erstellt, die dann für ganz andere Zwecke verwendbar wären.

Wofür etwa?

Zum Beispiel könnten damit in einer Art Rasterfahndung Videoaufnahmen durch Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen mit Dateien über die Gesichtsform abgeglichen werden, um verdächtige Personen aus einer Menschenmenge herauszufiltern.

Das wäre anders, wenn die Daten der Iris gespeichert würden, oder?

Ja, die könnten aber beispielsweise mit Daten von Iris-Erkennungssystemen verglichen werden, wie sie schon für Geldautomaten konzipiert werden.

Mit dem Unterschied, dass die Daten dort mit Wissen des Benutzers erfasst würden, und der das auch vermeiden könnte. Ist die Iriserkennung damit ein biometrisches Merkmal mit geringeren Missbrauchsrisiken?

Das ist zumindest ein begrenzteres Verfahren. Es mag sein, dass die Iriserkennung noch der geringere Eingriff wäre.

Wie würden biometrische Daten auf Ausweisen gespeichert?

Auf Speicher-Chips, also verdeckt. Das lehne ich ab. Wer garantiert dem Bürger denn, dass darauf nicht ohne sein Wissen Zusatzinformationen gespeichert werden, etwa Reiseeinschränkungen bei Anti-Globalisierungsprotesten? Die Fälschungssicherheit kann man auch durch die ebenfalls diskutierten Hologramme erhöhen.

Ist die Ausweitung der Kompetenzen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz für Sie akzeptabel?

Der zunächst geplante Datenverbund hätte das verfassungsmäßige Gebot der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten vollkommen über den Haufen geworfen. Aber auch ein verstärkter Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden schränkt das bereits weitgehend durchlöcherte Trennungsgebot über Gebühr ein. Dieser Grundsatz – geboren aus Erfahrungen mit der Gestapo, bestätigt durch die Erfahrungen mit der Stasi – soll eine unkontrollierbare Machtkonzentration verhindern. Die wird nun Schritt für Schritt herbeigeführt.

Eignen sich die Schily-Pakete zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus?

Die meisten Maßnahmen erscheinen mir kaum tauglich. Es geht doch um die Frage, wie man völlig unauffällig lebende Menschen, die so genannten Schläfer, schon im Vorfeld dingfest machen kann. Dafür gibt es nach wie vor keine Rezepte. All das, was uns jetzt offeriert wird, schießt über diese Problematik weit hinaus und betrifft die ganze Bevölkerung oder einzelne Gruppen, insbesondere Ausländer.

Hätte irgendeine dieser Maßnahmen dazu beitragen können, die Terroranschläge in den USA zu verhindern?

Mir fällt keine ein. Dennoch können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. So ist es vollkommen richtig, beispielsweise die Flugsicherheit zu erhöhen und die Kontrolle internationaler Geldströme zu verschärfen.

Würden Sie sagen: Sicherheitsmaßnahmen – ja, aber nicht mit der Gießkanne?

Ja, zielgenau, effizient und bürgerrechtsverträglich müssen sie sein. Aber da fallen mindestens 80 Prozent von Schilys Vorschlägen hinten runter, weil sie grob unverhältnismäßig sind. Wir müssen bedenken, dass wir nicht bei Null anfangen. Wir befinden uns auf einem sehr hohen Niveau der Sicherheitspolitik. Seit drei Jahrzehnten ist pausenlos aufgerüstet worden. Wir haben neue Instrumentarien – von der Schleierfahndung über den großen Lauschangriff bis hin zu verdeckten Ermittlern. Eines muss uns klar sein: Ein absoluter Schutz vor Anschlägen ist auch mit immer neuen Sicherheits- und Überwachungsgesetzen nicht zu gewährleisten. Es grenzt an Volksverdummung, wenn Sicherheitspolitiker solche staatliche Allmacht suggerieren.

Fragen: Jan Kahlcke