Die Häschenschule

Seltsam, dass man manchmal einen Kindergarten gar nicht richtig von der Fremdenlegion unterscheiden kann

„Stillgestanden“, peitscht Wolfgangs laute Stimme durchs Tobezimmer. Wir lachen: Das klingt immer komisch, wenn Wolfgang so schreit. Wolfgang ist unser Erzieher. Wir haben ihn ziemlich gern. „Wolfgang?“, frage ich, „schreist du noch mal so laut?“ Wie lieb – er brüllt sogar noch lauter: „Ich heiße nicht Wolfgang, verdammt nochmal – ich heiße Perrier, Sergeant Perrier – merken Sie sich das endlich, Sie Cretin!!“

Er ist sehr lustig. Heute dürfen wir wieder im Sandkasten spielen, weil total schönes Wetter ist. Eigentlich ist in der Häschenschule immer total schönes Wetter. Blöd ist nur, dass sie so weit weg von zu Hause ist.

Manchmal weine ich, weil ich Mama und Papa so selten sehe, aber die müssen ja eh immer arbeiten. Die Erzieher und die anderen Kinder sind dafür echt nett und trösten mich dann. Besonders nett ist die Moni, meine beste Freundin.

„Pass mal auf“, sagt die Moni, wenn ich mal wieder traurig bin, „Hauptsache ist doch, wir kommen irgendwie heil aus dieser Hölle wieder raus.“ Dann gibt sie mir eine Selbstgedrehte und drückt ihre Wange an meine, bis meine Tränen in ihren dunklen Bartstoppeln versickert sind. Dazu scheint ein riesiger bleicher Mond auf den nächtlichen Sandkasten. Der Sandkasten ist überhaupt riesengroß. Von einem Ende kann man das andere gar nicht sehen.

Oft fahren wir mit dem Bus von der Häschenschule mitten rein und bleiben dann tagelang draußen. Dann spielen wir fangen oder singen mit Wolfgang und abends machen wir richtig Camping. Das ist sehr aufregend. Ich wünsche mir oft, dass Mama und Papa dabei sein könnten. Natürlich buddeln wir auch viel im Sand. Die anderen Kinder machen meistens Kuhlen und Gräben, weil Wolfgang das so will.

Ich baue ja lieber Sandburgen oder ein Haus für meine Puppe. Meine Puppe ist eine graue Trinkflasche, der ich Arme und Beine drangemacht habe, und einen Kopf. Wolfgang schreit immer, wenn er das sieht. Dann muss ich wieder lachen. Besonders klasse brüllt er rum, wenn ich das Wasser aus meiner Puppe in den Sand schütte. Das muss ich machen, weil der so trocken ist und das Haus sonst nicht richtig halten würde. Das versteht er nicht und fesselt mich dann so komisch oder schleift mich hinter einem Buckelpony quer durch den Sandkasten. Das kitzelt und ich muss lachen.

Ab und zu kommen auch Kinder von einer anderen Häschenschule zu uns in den Sandkasten. Wir müssen immer so tun, als ob der Sandkasten nur uns gehört und wir uns streiten, wer raus muss. Dann toben wir und knallen mit Eisenstöckchen und Knalleiern. Die von der anderen Häschenschule haben sich in Bettlaken eingewickelt und spielen Gespenst. Das wirkt sehr antiautoritär. Nicht so wie bei Wolfgang. Aber lieb haben wir ihn trotzdem. Er schwindelt auch ganz oft: Zum Beispiel erzählt er dauernd, dass wir gar nicht in der Häschenschule sind, sondern in der Fremdenlegion.

ULI HANNEMANN