Gerd tanzt nicht

Beim 50. Bundespresseball schieben sich 2.500 mehr oder weniger Prominente durch die Nacht. Zum Dank gibt es am Ende einen Viskoseschal

von JAN ROSENKRANZ

Dorothea Sihler-Jauch möchte nicht so gern ins Fernsehen. Der Reporter vom SFB zieht ihrem Gatten Günther gerade wieder die Geschichte aus der Nase, wie Klein-Günther die 300 Mark für den Tanzkurs lieber in sein Moped steckte. „Und ihre Frau möchte wohl nicht mit uns sprechen?“, fragt der SFB-Mann jovial. Die Kamera schwenkt ins Getümmel. Frau Jauch ist schneller. „Sie kann aber sprechen. Bringt Subjekt, Prädikat, Objekt wunderbar in eine Reihe – seit Jahren schon“, sagt Jauch, schüttelt Hände und nimmt Platz an Tisch 100. Dem Präsidententisch. Freitagabend, Hotel Interconti, der 50. Bundespresseball ist eröffnet.

Vor dem Hotel fahren weiter Gäste vor. Mercedes, BMW, Volvo, Mercedes. Immer im Herbst, wenn die Ballsaison durch die Hauptstadt tobt, umgarnen sich für eine Nacht Politik und Wirtschaft und Journaille in festlicher Gewandung – um Kontakte zu pflegen, fürstlich zu speisen und ein wenig zu saufen. Die Bundespressekonferenz, Veranstalter der Verlustbarkeit, hat in diesem Jahr zu einer „nicht ganz billigen Kreuzfahrt“ geladen. Weiße Muscheln zieren die Tafeln, Orchideen schwimmen in Wasser, ein monströses Seepferd glotzt blöde in den Festaal und irgendwann wird Udo Jürgens singen – vor einem Unterwasserbildmit schwebenden Rochen.

Auf Deck 2, der Flaniermeile fürs gemeine Volk, sind hier und da Segel gespannt und Hawaikiki-Blütenketten zieren die Stehtische. „War auch schon mal origineller“, sagt die junge Dame in badebuchtblauer Seide. Dass die Tombola wegen „11.- September-nichts-ist-mehr-wie-es-war“ abgesagt wurde, findet sie nicht amüsant. „Aber Schätzchen“, tröstet der besorgte Begleiter, „am Ausgang wartet doch wieder ein hübscher Präsentbeutel.“ Sie lächelt hoffnungsfroh. Letztes Jahr gab es ein Nagelset.

Ehemänner und Ehefrauen fremdeln noch ein wenig. So viel Zeit auf einmal und gemeinsam verbringt man sonst nur an Weihnachten. Doch mit steigendem Champagnerpegel kommt man sich wieder näher. Herr Merz herzt Frau Merz, Ballnovize Stoiber seine Stoiberin und auch Bundestagsbeau Peter Ramsauer schnäbelt mit seiner zarten Frau. Der Bundespresseball ist traditionell das Privileg der Ehefrau. Sie besiegt an diesem Abend mögliche Geliebte.

Nur beim Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ist mal wieder alles anders. Er schwebt, wie schon am Vorabend bei der Bambi-Verleihung mit Sabine Christiansen im Arm herein. Sein Lebensgefährte Jörn Kubicki blieb diesmal zuhause. Dabei hatte Wowereit den Unfallchirurgen doch gerade erst auf der AIDS-Gala in die Berliner Gesellschaft eingeführt.

Am Morgen noch verkniffene Gesichter im Plenarsaal und ein Kanzler, der böse nach Vertrauen fragte. Am Abend aber alle so gelöst und so beschwingt. 2.500 Gäste swingen glücklich durch die Nacht, 1.000 Helfer schuften. Im großen Festsaal lassen sich Promis und Reiche und reiche Promis das Myritzlamm schmecken, während Krethi und Plethi neugierig auf die elitären Teller stieren. 1.000 Mark für das Diner unter Aufsicht. 570 Mark für das Gelage auf Deck 2. Zwar ohne Myritzlamm, dafür mit Hummer satt und Austern übel. Das ballistische Epizentrum bebt auf den Gängen. Dort, wo Alice Schwarzer zu Daddy Cool abrockt. Dort, wo der japanische Künstler aus dem Eisblock einen Vogel schnitzt. Dort, wo die Musikanten auf Stelzen Klezmer spielen und mancher Busen aus dem Pailettenausschnitt hüpft.

Zwei Schrankmänner sondieren auffallend unauffällig das Terrain. Aus ihren Ohren quellen geringelte Kabel aus durchsichtigem Plastik. „Security“, sagt der breitschultrige Ire James und erklärt: Jacket offen – Knarre im Halfter. James hat den Checkerblick, er war Türsteher in Dublin.

Die Schrankmänner werden unruhig. Das Alphatier der Republik nähert sich. Mit Frau und Rudel. Umringt von Fotografen und sechs Bodyguards pflügt der Kanzler durchs Getümmel. Der Gerd mag nicht tanzen – heute nicht und nie. Sonst lässt er immer wissen: Ich kann den Takt nicht halten. Doch an diesem Schicksalsfreitag vermeldet das dünne Dörchen ein wehes Kanzlerknie.

Derweil beugt sich der saarländische Ministerpräsident im Caféraum über eine 5-Liter-Flasche Jahrgangssekt und setzt schwungvoll seine Unterschrift: Peter Müller mit Herzchen. Die Flasche mit den dutzenden Politikersignés soll für einen guten Zweck versteigert werden. „Glauben Sie, dass die jetzt viel mehr bringt?“ fragt ein Journalist. „Das ist eine Unverschämtheit“, erwidert der Ministerpräsident und lacht irre.

Allmählich sitzen Fliegen schief, Hosenställe stehen offen und die verputzte Haut der Damen schimmert leicht aschfahl. Drei Uhr morgens, die ersten Gäste gehen über Bord, Wowereit und Christiansen wollen noch ins „90 Grad“. Doch der Ballkreuzer schiebt weiter. Eine Barfüßige schleicht über den Gang, rechts die Highheels, links der Galan. Ihre Frisur ist in Auflösung begriffen. Doch nach Hummer, Sekt und Mousse au Chocolate stopfen die beiden noch vier Currywürste nach. Cholesterin gegen Promille. Am Ausgang schnappt sich die badebuchtblaue Dame die rotweiße Präsenttüte und inspiziert hektisch die Gaben: ein Viskoseschal mit Bewag-Stromphasendekor, ein Isettamodell und eine Espressotasse. Kein Nagelset. Traurigleise sagt sie „Scheiße“.