Die Grenzen sind längst überschritten

„Reprokult“ – Fachtagung zur Fortpflanzungsmedizin fordert Verbot von Eizellenspenden und Forschung mit embryonalen Stammzellen. Medizinethikerin Kollek will Gegengründung zur Deutschen Forschungsgemeinschaft

„Warum wird nicht stattdessen dasAdoptionsrechtvereinfacht?“

BERLIN taz ■ „Menschliche Fortpflanzung wird zunehmend zu technisch gesteuerter Reproduktion, und um diese Techniken wird ein Kult betrieben“: So erklärt „Reprokult“, ein bundesweiter Arbeitskreis von Frauen aus Gesundheitsarbeit, Wissenschaft und Politik seinen Namen. Rund 150 Frauen und einige Männer trafen sich auf Einladung von Reprokult am Wochenende in Berlin, um diese Kritik mit neuen Fakten zu vertiefen.

Eizellen und Embryonen seien kein beliebiger Rohstoff, die Forschung mit embryonalen Stammzellen sollte verboten bleiben, befanden die Teilnehmerinnen mit Blick auf die bevorstehenden Entscheidungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Bundestags. Allerdings wollen beide Institutionen angeblich ihr Votum doch erst im neuen Jahr fällen.

Einer der Höhepunkte der dreitägigen Konferenz war der Vortrag von Regine Kollek, Vizevorsitzende des Nationalen Ethikrates. Die Hamburger Biologin machte deutlich, dass die „Grenzüberschreitungen“ nicht bei den Stammzellen, sondern schon bei der künstlichen Befruchtung angefangen haben. Die Chance, nach einem Behandlungszyklus ein Kind zu bekommen, liege gerade mal bei 13 Prozent. Umgekehrt müssten 1 bis 4 Prozent aller behandelten Frauen mit einem hormonellen „Überstimulationssyndrom“ rechnen, das zu schwer wiegenden Komplikationen führen kann. Bei den so erzeugten Kindern seien niedriges Geburtsgewicht, Missbildungsrate und Todesrate signifikant erhöht.

Die Einführung einer neuen, ICSI genannten Befruchtungsmethode ist in den Augen Kolleks ein „Großexperiment, deren Folgen wir erst in Jahrzehnten absehen können“. Bei ICSI werden bewegungsbehinderte Samen mit einer Kapillarnadel in die Eizelle befördert. Für die Biologin eine „Vergewaltigung der Eizelle“, denn diese rabiate Methode verursache nicht selten eine Fehlverteilung der Chromosomen. Folge: Die genetisch bedingte Unfruchtbarkeit werde weitervererbt, es kommt zu neuen Chromosomenschäden.

Bei 15 von 65 ICSI-Kindern habe es große Fehlbildungen gegeben, das entspreche einer Missbildungsrate von 23 Prozent, berichtete die ÄrzteZeitung Anfang November. Deswegen, so Kollek weiter, würden einige Ärzte nun die Einführung der Präimplantationsdiagnose (PID) bei ICSI-Embryonen fordern. Dabei gelte für die PID dasselbe: Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind nach Hause zu bringen, liege europaweit bei nur 11 Prozent.

Die Fehler einer Technik werden also durch neue Techniken korrigiert, deren Fehler durch neue Techniken korrigiert werden, deren Fehler . . . Wieso aber wird an Verfahren festgehalten, die zwar 10 bis 20 Prozent des gynäkologischen Gesamtbudgets verschlingen, den Betroffenen aber so wenig nützen? „Warum“, so formulierte es eine Teilnehmerinnen, „wird nicht stattdessen das Adoptionsrecht vereinfacht?“ Der Verdacht stand im Raum: Weil durch künstliche Befruchtung und PID-Einführung mehr Embryonen als benötigt entstehen, die man dann als „überzählig“ deklarieren und dem Zugriff der Stammzellenforscher übergeben könnte.

Regine Kollek ist überzeugt, dass es einer ganz anderen Ausrichtung von Repromedizin und Wissenschaftspolitik bedarf. „Man müsste eine Gegen-DFG gründen“, schlug sie unter dem Beifall des Saals vor. Mit 50 Prozent der Fördermittel könnten Forschungsziele mit neuen Prioritäten verfolgt werden: Nachhaltigkeit und internationalen Gerechtigkeit etwa. UTE SCHEUB