Verkehrte Tunnelwelt

■ Endlich druckfrei und endlich frei passierbar: Der Hemelinger Tunnel, 660 Meter lang, machte manchmal ganz schön Zicken / Gestern war die erste Durchquerung

Bis 1999 war das eine ganz normale Adresse: Godehardstraße, Bremen-Hemelingen. Eine Straße wie jede andere, könnte man meinen, mit Häusern, davor Parkplätzen und am anderen Ende eine katholische Kirche. Bis die Bagger anrückten, Häuser wegrissen und unten drunter eine Großbaustelle herzogen – 350 Millionen Mark teuer und lange umstritten: der Hemelinger Tunnel.

Heute kann man die einstige Godehardstraße nur noch unterwandern. Die Tunnelröhre ist inzwischen grob fertig. Die knapp 660 Tunnelmeter laufen unter Bahnschienen und dröhnenden Zügen entlang, am Erdreich des Bürgerhauses vorbei, immer einige Meter unterhalb des Grundwasserspiegels. Gestern war die erste Durchquerung – mit Bausenatorin Tine Wischer (SPD), der Taufpatin des Hemelinger Untertage-Bergbaus.

Wischer ist nicht die Einzige, die sich regelmäßig am Bremer Mammutprojekt sehen lässt. Auch Ex-Bausenator Bernt Schulte (CDU), Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) waren schon da, um die erhoffte Verkehrsentlastung in Bremens Industrie-Stadtteil zu feiern. Ungezählte Studenten des Bauwesens ebenso, die sich aber eher über neueste Tunneltechniken informieren wollten. Selbst auf der Tagung der „Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen“ (StuVa) wird die in Deutschland bislang einmalige „zwangfreie“ Lagerung der Bremer Tunnel-Decke bald Thema sein.

Doch erst mal der Rundgang durch die Hemelinger Unterwelt. Für „Fr. C. Wischer“ gibt es inzwischen schon quietschgelbe Gummistiefel mit Namenszug in Edding beschriftet. Zwar sind die Treter für die Senatorin drei Nummern zu groß, die Schuhgrößen 40 und kleiner scheinen auf Baustellen aber komplett nicht vorrätig zu sein. So schlittern die meisten weiblichen Tunnelbetrachter in viel zu großen Stiefeln durch die matschige Tunnelröhre.

Und die wirkt fast wie eine verkehrte Welt. Meterhohe Säulen stützen dort den Boden – nicht die Decke, wie man gemeinhin annehmen würde. „Ohne diese Säulen würde die Sole wieder hochkommen“, erklärt Oberbauleiter Wilfried Hirschmann. Bis die Säulen aber in Reihe standen, hatte man mit Unterdruck die Sole künstlich unten gehalten.

Die Unterdruck-Arbeiten am Tunnel waren ohnehin die spannendste Sache. Jeweils 30 Minuten mussten sich die Arbeiter in einer Vorkammer an die Druckunterschiede gewöhnen, bis sie rein oder rauskonnten. „Mehrere schlaflose Nächte“, hat auch der Oberbauleiter hinter sich, als vor einem Jahr plötzlich Luftblasen oben auf der Straße auftauchten – immer bei Regen fing es wunderbar an zu blubbern. Unten war es nämlich undicht geworden. Die Druckluft entwich nach oben, durch alle möglichen Ritzen. Mehrkosten für die Baufirma und Bauverzögerungen waren die Folge.

Gelitten haben darunter vor allem die paar Anwohner. Dem Bürgerhaus, neben dessen Keller die unterirdische Straße getrieben wird, bleiben nach zwei Jahren immer mehr Besucher weg. „Wir würden gerne unseren normalen Zugang wieder haben“, wünscht sich der Geschäftsführer Wilfried Mammes, der seinen Gästen bislang nicht mehr als die Hintertür und noch weniger Parkplätze anbieten konnte. Auch die katholische Kirche hatte es nicht leicht. Immer wieder sollen sonntags einige Kirchgänger am Bauzaun entlanggeirrt sein, nicht wissend über welche Umwege sie zum Gottesdienst gelangen.

Inzwischen ist der Tunnel „drucklos“, „sphärische Verhältnissse“ wurden wieder hergestellt. Dafür riecht es streng nach Schweißarbeiten und Staub. Hie und da fliegen Funken, überall lärmen große Rüttler-Maschinen im Ohr, die auf wenigen Zentimetern den Beton verdichten sollen. Tageslicht ist hier nicht zu sehen – das liegt hinter der Kurve, um die ab Sommer 2003 die ersten Autos donnern sollen.

Dorothee Krumpipe