Angstschweiß im königlichen Tee

■ Oldenburgs rurale Theaterszene schlägt wieder zu: Der Ur-Hamlet im Schuhkaton

Passt Hamlet in einen Schuhkarton? Ja, im Ammerland. Denn hier spielt das Theater Olando hartnäckig in einem lüsterverzierten Zimmer des Palais Rastede. Nur fünfunddreißig Sitzplätze gibt es hier, also Tuchfühlung, auch mit der Aufführung.

Nicht das große Pathos, sondern schauspielerische Kleinteiligkeit hat hier seinen Ort. Und eben auch der Ur-Hamlet. „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dänemark“ findet in Regie und Bearbeitung von Jürgen Lorenzen – der am Oldenburgischen Staatstheater spielt – tatsächlich in so einer Art Schuhkarton Platz. Die etwa zwei mal vier Meter kleine Bühne wird von filzigen Schiebewänden umgeben: der Stoff, aus dem die Feldbettdecken sind, im Spiel um Rache und Vergeltung. Diese Box ist ein wandlungsfähiges Kulissen- und Requisitenlager: Hier werden wechselweise bemalte Rollos runtergezogen, schon steht man im Wald oder Knast, Gummifledermäuse gaukeln vom Gerüst, grusel, grusel. Überhaupt geht es in dieser Posse um den Wandel, das Spiel im Spiel. Vier Schauspieler wechseln furios ihre mannigfachen Rollen, die Kostüme von Regine Meinardus und Kyra Tillmann kommen dem mit viel Witz entgegen: Da steht ein Neptun im aquamarinfarbenen Sari, blauer Badekappe mit Plastikfisch drauf, blauer Schwimmbrille und spuckt Fische.

Da haben wir Carl, den Prinzipal der Komödianten. Er ist in einen tuntig-trashigen Mix aus Rose und Silber gekleidet. Gestreift und gepunktet, mit sehr viel Glitter und als I-Tüpfel baumelt ein Eau-de-Cologne Zerstäuber um den Hals. Sylvia Meining ist einfach komisch in ihren Hosenrollen und überkandidelt sinnlich als durchgeknallte Ophelia. Und Ulf Goerges könnte den Raum schon alleine füllen mit seinen abgefahrenen Figuren: Da steht er als verkrampfter königlicher Hofmarschall Corambus und hält dem Königspaar ein Tablett hin. Mit verfinsterter Miene, Quasimodo gleichend, stibitzt er kleine königliche Pralinées, fortwährend redend, während sein Angstschweiß an der Nase entlang in den königlichen Tee tröpfelt. Oder als Horatio, stets schüchtern an seinem Wams nestelnd, sprudeln nervöse Ticks und komische Geräusche aus ihm hervor.

Jürgen Lorenzen hat den Text entrümpelt und lässt die Figuren als Zitate agieren, das heißt: Er persifliert. Da kommt es auch mal zu einem Lustspiel-Lapsus: Wenn Hofnarr Phantasmo der Ophelia in den Ausschnitt guckt: „Rein oder nicht rein, das ist hier die Frage.“ Das Tempo machts aber rasch wieder wett. Da wird nämlich schon mal eine Szene drei mal öffentlich geprobt, bevor sie sitzt. Königin Sigrie und ihr Zweitgatte Erico schauen Corambus, dem Hofmarschall, beim Sterben in Serie zu, an jedem Detail interessiert, wie er stirbt und stirbt und Hamlet köpft fünf Mal den Brudermörder Erico, bis die richtige Entscheidung endlich fällt: Ja, er muss sterben.

Das Spiel im Spiel um Rache und Vergeltung verweist auf die Wirklichkeitsebenen, auf denen gerade in der aktuellen politischen Situation agiert wird: Das Schlachtfeld der Öffentlichkeit, in der Realität schon verbal eingeübt wird. Tatsächlich hatte das kleine Rasteder Theater für Oktober ein experimentelles Stück zur Verwebung von Mediengebrauch und Gewalt geplant, aber aufgrund des New Yorker Attentats abgesagt. Und tatsächlich haben sie mit diesem Hamlet einen guten Griff getan, indem sie der Schwere entsagen und dadurch erst gekonnt doppelte Böden schaffen, die Einsicht ermöglichen – mit viel Spaß.

Mareijke Gerwin

Bis Anfang Februar wird der „Hamlet“ an fast jedem Wochenende gespielt. Die nächsten Aufführungen: 23., 24., 25, 30. November und 1., 7., 9.,, 14., 15. , 16. Dezember. Karten unter Tel. (04402) 59 88 20