Der ironische Ernstfall

Mein Weg: Richard Rorty erteilte in der Schaubühne pragmatische Lektionen

So viel Einverständnis mit der amerikanischen Kriegspolitik hatte keiner erwartet

Romantischer als Habermas, weniger anarchistisch als Foucault – so hat der amerikanische Philosoph Richard Rorty sich einmal selbst beschrieben. Am Sonntag war er in der Schaubühne zu Gast, wo er mit Hausherr Thomas Ostermeier und den Publizisten Mathias Greffrath und Jakob Augstein über „Das Imperium und die neuen Barbaren“ sprach.

Die Schaubühne nennt ihr monatliches Meisterdenker-Gespräch „Streitraum“. Oft blieb das bisher Parole. Wenn die „No Logo“-Aktivistin Naomi Klein mit den Überzeugungstätern Ostermeier und Greffrath plaudert, wird aus dem Streitraum schnell eine Harmoniehöhle. Das ist dann ungefähr so erquicklich wie das jüngste Akademie- „Streit“gespräch zwischen dem alten Zitierkartell Johanno Strasser, Oskar Negt, Günter Grass und Erhard Eppler. Da mit Rorty ein erklärter „social democrat“ eingeladen war, sprach alles für eine weitere sozialdemokratische Konsensrunde.

Doch Überraschung: statt intellektueller Inzucht diesmal argumentatives Wettrüsten. Ein transatlantisches Missverständnis? Keineswegs. Rorty steht für eine in Deutschland vom Aussterben bedrohte Spezies – den liberalen Ironiker. Der Westen hat nichts zu lernen, eröffnete Rorty forsch die Runde. Wer deftigen Antikapitalismus hören wollte oder wenigstens Multikulti, kam hier nicht auf seine Kosten. Von einem kulturellen Dialog hielt Rorty wenig; vorbehaltlos begrüßte er den Siegeszug des Westens. Der Westen habe in zweihundert Jahren Aufklärung soziale Schranken und unterdrückende Privilegien abgebaut. Der Westen – das ist für Rorty Individualismus als Lebensstil. „I did it my way“ – zur Sinatra-Doktrin kennt Rorty „no alternative“. So viel pragmatisches Einverständnis mit der amerikanischen Kriegspolitik hatten seine Podiumsgenossen nicht erwartet.

Nach Rortys Eröffnung schauten sie einigermaßen verdattert. Dass jede Kritik am Westen etwas Unredliches hat, wollte Augstein nicht auf sich sitzen lassen. Greffrath und Ostermeier sekundierten: Ob es nicht politische Alternativen zu einem Krieg gäbe? Ob der Krieg nicht neue Terroristen ermuntere? Überhaupt müsse man sich doch auf Ursachensuche für den Anschlag machen. Hinter solchen Anfragen der europäischen Zaungäste witterte Rorty intellektuelles „Appeasement“. Der pragmatische Philosoph zog die konkrete Solidarität allen objektiven Erklärungen vor. Als Ironiker ist Rorty immun gegen „große Erzählungen“ und geschlossene Welterklärungssysteme. Letzte Gründe wollten die Mitdiskutanten von Rorty gar nicht erfahren. Wohl aber, ob Amerikas Auftrumpfen einem Liberalen nicht auch Bauchschmerzen bereite. Rorty ließ sich nichts entlocken. Während Greffrath noch überlegte, in welchen Kausalzusammenhang der „entfesselte“ Kapitalismus und der 11. September zu bringen seien, rüstete sich Rorty für eine neue Schlacht: den Krieg gegen den Irak zur Ausschaltung der biologischen Arsenale.

Der liberale Ironiker Rorty ist ein entschiedener Verteidiger des „western way of life“. In seinen philosophischen Schriften hat er immer wieder betont: Ironie meint nicht Relativismus. Im Streitraum wäre wohl keiner auf diesen Gedanken gekommen. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsausschuss um Mathias Greffrath hatte es also schwer. Wenn amerikanische Entschlossenheit im Spiel ist, wiegt europäische Kritik gering.

STEPHAN SCHLAAK