„Rote Lampen nicht gesehen“

■ 6,3 Millionen Mark mal eben ausgegeben: Der Staatsrat im Sozialressort, Arnold Knigge, räumt im taz-Interview fehlendes Controlling ein

Eine Anfrage der Grünen hat es jetzt ans Licht gebracht: Im Arbeitsressort gibt es ein Finanzloch in Höhe von 6,3 Millionen Mark – gerissen im vergangenen Jahr durch stetes Bewilligen von Arbeitsfördermaßnahmen ohne Blick aufs längst ausgeschöpfte Budget. Inzwischen existiert über die Vorgänge ein Bericht der Innenrevision – der Abteilung im Ressort, die die anderen Abteilungen überprüft. Das Fazit des vertraulichen Berichts sei „verheerend“, so die Bremer Grünen. Kontrolle habe es zu keiner Zeit gegeben. Die taz sprach darüber mit dem zuständigen Staatsrat Arnold Knigge (SPD).

taz: Der Bericht der Innenrevision soll auf erhebliche Defizite in einer bestimmten Abteilung Ihres Ressorts hinweisen.

Staatsrat Arnold Knigge: Dass das Programm „50plus“, ein Beschäftigungsprogramm für ältere Arbeitslose, bereits im Frühjahr überbucht wurde, ist bekannt. Für die Überbuchung gibt es unterschiedliche Gründe. Dazu zählt der allgemeine Rückgang der ABM-Beschäftigung und der damit verbundene Anstieg der Anträge bei „50plus“. Aber dazu zählt auch, dass in dem entscheidenden Bereich im Ressort die Fallzahlen und die Mittelbindung nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden sind. Als ich im März von der Überbuchung gehört habe, habe ich sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das aufzuklären. Zu dieser Aufklärung gehörte auch die Einschaltung der Innenrevision.

Laut Bericht soll das Defizit schon Ende 2000 bekannt gewesen sein. Und im März haben Sie die Deputierten das Programm noch absegnen lassen.

Ich will jetzt nicht über den Innenrevisionsbericht selbst sprechen. Aber zu den Fakten: In der zweiten Jahreshälfte 2000 hätte man wissen müssen, wie sich die Entwicklung darstellt und welche haushaltsmäßigen Konsequenzen das hat. In der Deputationssitzung im Frühjahr hat der zuständige Abteilungsleiter erklärt: Wir haben die roten Lampen nicht rechtzeitig erkannt.

Wie viel hat es schlussendlich gekostet, dass die Abteilungsleiter die roten Lampen nicht erkannt haben?

Es geht nicht um Abteilungsleiter. Es geht darum, dass die roten Lampen von wem auch immer nicht frühzeitig wahrgenommen wurden, weil die Dokumentation mangelhaft war. Wir haben deshalb der Deputation vorgeschlagen, die so entstandene zusätzliche Belastung durch einen Vorgriff auf Mittel der Jahre 2003/2004 auszugleichen. Dem hat die Deputation zugestimmt. Wir hatten im vergangenen Jahr 169 Förderfälle. In diesem Jahr, als die Überbuchung bekannt wurde, waren es über 300 Fälle. Da haben wir sofort gegengesteuert. Aber diese Gegensteuerung, auch der Vorgriff auf Mittel von 2003/2004 verlief im Rahmen desselben Fonds, der für den Zeitraum 2000 bis 2006 angelegt ist. Das heißt, es gibt insgesamt kein Defizit, niemand hat Geld weggenommen, nur hätte ich die Mittel über die Jahre gerne gleichmäßiger verteilt. Wir wollten auch keine Diskussion mit den Trägern darüber, ob jede bereits gemachte Zusage tatsächlich rechtlich verpflichtend sei. Das wollten wir bewusst nicht – mit dem Geld wird ja Gutes getan, nämlich ältere Arbeitnehmer beschäftigt.

Bisher hieß es im Zusammenhang mit diesen Vorgängen oft, es sei eine Einzelperson im Ressort gewesen, die für die Überbuchung verantwortlich sei. Laut Innenrevisionsbericht hat aber eine ganze Abteilung in der Kontrolle versagt. Hat das personelle und strukturelle Konsequenzen?

Ich spreche hier nicht über Personen. Selbstverständlich haben wir schon fachliche Konsquenzen gezogen: Wir haben jetzt ein fortlaufendes Berichtssystem etabliert – sowohl der Deputation gegenüber als auch intern. Über andere Konsequenzen werde ich öffentlich nicht sprechen.

Nochmal zur fehlenden Kontrolle: Eine Hand soll nicht gewusst haben, was die andere schon ausgegeben hat und umgekehrt. Stimmt das?

Selbstverständlich hat es eine Kontrolle gegeben. Wir haben ja ein regelmäßiges Haushaltscontrolling – das gab aber keinen Hinweis auf diese Überbuchung.

Um so schlimmer.

Es hat im vergangenen Jahr Zielvorgaben für die Förderung gegeben – die wurden eingehalten. Davor gab es diese Vorgaben auch. Es gab im letzten Jahr nach der Erfahrung der Vorjahre keinen Grund zur Annahme, dass hier etwas schief laufen würde. Um so überraschter war ich auch.

Die Zielvorgaben wurden eingehalten, dennoch wurden 6,3 Millionen Mark mehr bewilligt als da waren – wie geht das zusammen?

Wir hatten den Auftrag, das Programm „50plus“ zu entwickeln. Aber bevor wir konkret entscheiden konnten, war das Programm schon überbucht. Es lagen schon mehr Anträge und Zusagen vor, die dann bedient werden mussten, als Geld eingeplant war. Inzwischen ist sichergestellt, dass die Referats- und die Abteilungsleitung regelmäßig den Stand der Programmentwicklung im Auge behalten.

Die Konsequenzen dieses 6,3-Millionen-Lochs müssen jetzt die Beschäftigungsträger ausbaden: Sie müssen mit weniger Geld auskommen als zuvor. Ist das nicht unfair?

Das stimmt so nicht. Zwischen den beiden Vorgängen besteht kein Zusammenhang. Dass weniger Geld für die Beschäftigungsträger zur Verfügung steht, hat mehrere Ursachen: Zum einen müssen wir uns nach den veränderten Haushaltseckwerten richten. Wir haben in der Arbeitsmarktpolitik mit rund zehn Millionen Mark weniger auszukommen. Außerdem müssen wir insgesamt die Möglichkeiten für Beschäftigungsträger an die veränderte ABM-Landschaft anpassen: Wie gesagt, geht die Zahl von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen deutlich zurück. Wir können die Struktur der Träger aber natürlich nur in dem Umfang aufrechterhalten, in dem ABM auch zu organisieren ist. Die Träger haben ja eine abgeleitete, keine eigene Aufgabe: nämlich die Durchführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Karoline Linnert von den Grünen wirft Ihnen persönlich Versagen vor.

Ich stehe zu meiner Verantwortung. Aber ich kann nur wiederholen, und das hat der Bericht der Innenrevision bestätigt: Es ist völlig klar, wo Fehlverhalten vorlag. Und wir haben sofort reagiert.

Fragen: Susanne Gieffers