Eine lebenslange Haft

Mörder der 12-jährigen Ulrike verurteilt. Entlassung auf Bewährung ausgeschlossen

Kerstin Brandt hat ein kleines Album mit Fotos vor sich liegen. Sie blättert darin herum, betrachtet die Bilder ihrer Tochter, schaut wieder hoch zu dem Angeklagten, der ihr gegenüber sitzt, sieht ihm direkt ins Gesicht. Zu jedem der 14 langen Verhandlungstage im Landgericht Frankfurt-Oder hat Kerstin Brandt das kleine Album mitgebracht. So als wollte sie dem Mann, der ihre 12-jährige Tochter Ulrike verschleppt, vergewaltigt und umgebracht hat, sein Opfer mit den Fotos ins Gedächtnis brennen. Und so als wolle sich Kerstin Brandt mit dem Album gleichzeitig selbst schützen. Es enthält gute Erinnerungen, Fotos von Ulrike aus glücklichen Tagen, ein Mädchen, das gerne lacht und Fahrrad fährt. Nicht das tote Kind aus dem brandenburgischen Eberswalde, dessen letzte qualvolle Stunden sich die Eltern in diesem Prozess wieder und wieder bis ins kleinste Detail anhören mussten.

Gestern hat das Frankfurter Gericht den 25-jährigen Sozialhilfeempfänger Stefan J. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Richterin spricht von einer „besonderen Schwere der Schuld“. Stefan J. kann demnach nicht damit rechnen, nach 15 Jahren auf Bewährung freizukommen. Blass, mit fast geschlossenen Augenlidern, gesenktem Kopf und schlaff nach unten hängenden Armen nimmt der Angeklagte diese Zukunft entgegen. Es scheint, als hätte jegliche Kraft seinen kräftigen Körper verlassen. Die Tat hat er gestanden.

Am 22. Februar dieses Jahres hat Stefan J. in Straußberg einen weißen VW-Polo gestohlen und ist damit nach Eberswalde gefahren. Dort stößt er auf einem holprigen Sandweg mit Ulrike Brandt zusammen. Sie fährt gerade mit dem Fahrrad zum Handballunterricht. Stefan J. steigt aus und zwingt das Mädchen ins Auto, den Verriegelungsknopf der Beifahrertür schraubt er ab. Etwa eine Stunde lang fährt er mit Ulrike zu einem stillgelegten Militärgelände nach Werneuchen. Dort vergewaltigt er das zitternde und schreiende Mädchen mehrmals. Um das Verbrechen zu verdecken, erwürgt er Ulrike im Wagen, zieht an den Enden des Schals, bis sie tot ist. Den leblosen Körper verscharrt Stefan J. in einem verlassenen Feld. Dann fährt er nach Bernau, setzt das Auto in Brand und flüchtet mit einem gestohlenen Fahrrad in seine Plattenbauwohnung nach Fürstenwalde.

Nachdem das Mädchen tagelang nicht nach Hause kommt, fahnden tausende Polizisten nach der verschwundenen Ulrike Brandt. Ein Aufklärungsflugzeug mit Infrarot-Kamera der Bundeswehr wird eingesetzt. Schließlich findet der Hund eines Spaziergängers die Leiche am 8. März. Wenig später nimmt die Polizei Stefan J. fest.

In dem Prozess gegen den Mörder ihrer Tochter hat sich das Ehepaar Brandt von dem PDS-Politiker Gregor Gysi als Nebenkläger vertreten lassen. Gysi hatte eine Sicherungsverwahrung für Stefan J. gefordert. Stattdessen waren die Richter dem Antrag der Saatsanwaltschaft gefolgt. Das Ehepaar Brandt wirkte gestern dennoch erleichtert. Während die Richterin die Urteilsbegründung verliest, hält Kerstin Brandt das kleine Fotoalbum fest in den Händen, Detlef Brandt streicht seiner Frau gelegentlich über den Arm.

KIRSTEN KÜPPERS