„Da kann ich aus München nicht helfen“

Bayerns Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) glaubt, dass die New Yorker Anschläge mit brutaler Deutlichkeit gezeigt haben, wie wichtig die Geisteswissenschaften sind. Bildung ist das höchste Gut. Für das Geld aber, das die Wissensgesellschaft verschlingt, muss jedes Bundesland selber sorgen

Interview CHRISTIAN FÜLLER

taz: Die Anschläge in New York verübten junge Islamisten, die in den offenen Gesellschaften des Westens lebten und ausgebildet wurden. Hier hat sie niemand beachtet oder gar verstanden. Was bedeutet dieses Ereignis für die Hochschulen?

Ich glaube, dass der Anschlag den Hochschulen endgültig klar gemacht hat, dass die Entwicklung des letzten Jahrzehnts einseitig war: Dass Naturwissenschaften und Hightech sich immer stärker in den Vordergrund drängen – und die Geisteswissenschaften in der Schmollecke zurückbleiben. Der 11. September hat mit brutaler Deutlichkeit die Frage aufgeworfen: Sind wir zu Beginn des Jahrtausends in der Lage, die verschiedenen Weltkulturen zu einer aktiven Toleranz zu führen.

Sie glauben an einen Aufschwung der Geisteswissenschaften?

Ja, und das war auch schon vor dem 11. September klar. Wir können doch die Genforschung ohne die Begleitung der Ethik, der Philosophie und der Theologie nicht erfolgreich bestreiten. Sonst bleibt das Humanum auf der Strecke – und damit der Mensch.

Bayern steckt Milliarden in die Förderung technischer Fächer. Was tun Sie für die Geisteswissenschaften?

Ich habe in der Folge des Anschlags sowohl aus der Ludwig-Maximilians-Universität in München als auch aus Erlangen klare Signale erhalten, dass der Dialog in den Hochschulen zwischen den christlichen Fakultäten und der Islamistik intensiviert wird. Wir werden Lehrstühle besetzen und Ringvorlesungen veranstalten. Das werden keine Alibi-Lehrstühle sein. Ich will den Geistes- und Kulturwissenschaften Mut machen, dass wir sie wirklich brauchen für den Dialog und den besonnenen Weg in die Zukunft.

Ich frage mich, wie dieser Dialog zustande kommen kann. In Ihrer Hightech-Offensive stellen Sie neue Institute auf die grüne Wiese. Soll da ab und zu ein Philosoph mit kritischen Fragen vorbeispazieren?

Sie reproduzieren ein Klischee – wider besseres Wissen. Wir haben uns davon verabschiedet, die Gentechniker oder die Informatiker in ihren Laboren vereinsamen zu lassen. Beispielsweise schlägt das Institut für Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der Universität München die Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Seit etwa zehn Jahren verfolgen zudem wir eine Verbundstrategie: Die Grundlagenforschung etwa findet in einem Genzentrum statt. Darum herum bauen wir anwendungsorientierte Institute und siedeln, wie in Kalifornien, strahlenförmig Gründungsinitiativen an.

Wo ist da der Brückenschlag?

Die jungen Ingenieure, die sich dort selbstständig machen sollen, stehen noch mit einem Fuß in der Hochschule. Diese vernetzte Verantwortung gilt auch für die Fachhochschulen, die wir in allen bayerischen Regionen gegründet haben.

Könnte mir denn ein FH-Student, sagen wir, in Schweinfurt, den Unterschied zwischen Islam und Islamismus erklären?

Er kann es erklären, wenn er als Mensch dafür Interesse hat. Die Hochschule selbst hat ihm dazu nicht geholfen. Diese Unterscheidungsfähigkeit müsste er vom Gymnasium mitbringen.

Müssten nicht auch kaufmännische oder technische Fachhochschulen diese Unterscheidungsfähigkeit lehren?

Eigentlich gehört das zu jeder Hochschulbildung. In den größeren Fachhochschulen haben wir ja den Bereich der Allgemeinwissenschaften beispielsweise mit Professuren für Wirtschaftsethik. Aber wir müssen auch Instrumenten wie dem Studium generale wieder ein stärkeres Gewicht verleihen.

Die Finanzminister teilen Ihre Ansicht nicht, dass Bildung wichtig ist. Als die in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) versammelten Kultusminister jüngst zeigen wollten, was die wissenbasierte Marktwirtschaft für dieses Land bedeutet, da haben die Referenten der Finanzminster kühl gekontert: Das sei kein Argument, mehr Geld in Bildung zu investieren. Im Gegenteil. Die wollen da sparen.

Ohne einen Beamten beleidigen zu wollen – aber die Welt wird nicht gestaltet, wenn Referenten die Analyse der Wissensgesellschaft nicht verstehen.

Was haben Sie mit dem BLK-Papier denn bezweckt?

Für uns Kultusminister war über Partei- und Ländergrenzen wichtig, allen politischen Verantwortlichen zu verdeutlichen, dass die Bildungsaufgabe ihr höchstes Gut ist. In der Politik gelten ja nicht nur monetäre Gesichtspunkte . . .

. . . aber sie sind auch nicht unwichtig. Die Finanzminister stellen die Ressourcen bereit. Haben die Bildungminister eine Niederlage im Verteilungskampf einstecken müssen?

Bei uns in Bayern steigen die Bildungsausgaben. Ich habe meinem Regierungschef einen Brief gesandt, was das BLK-Papier für Bayern in Mark und Pfennig bedeutet. Wir in Bayern pflegen in der Regel eine deutlichere Sprache. Inzwischen liegt dieser Brief beim Finanzminister. Es kommt also auf jeden einzelnen Kultusminister in seinem Kabinett an.

Mit anderen Worten: Kulturföderalismus ist Wettbewerb. Und nicht Zusammenarbeit.

Wenn ich erlebe, dass manche meiner Kultuskollegen etwa die Besoldung von Hochschullehrern herunterfahren wollen, nur weil ihr Finanzminister behauptet, dafür fehle das Geld, ja dann muss ich sagen: Solange ihr eure Hausaufgaben nicht macht, kann ich euch auch von München aus nicht helfen.

In Wahrheit ist es so, dass Sie von Bayern aus den Hochschulstandort Deutschland spalten.

Wie das?

Sie treiben die Länder in einen ruinösen Wettbewerb um die Professorengehälter.

Wir versuchen nur selbst in einem Wettbewerb zu bestehen – mit Hochschulen in der Schweiz oder mit den Stanfords in den USA. Das sind unsere Konkurrenten. Wir könnten Spitzenprofessoren nicht halten, wenn wir Sie nicht gut bezahlen würden.

Was hielten Sie von einem Finanzausgleich unter den Hochschulländern, der die Ausbildungslasten fairer verteilt?

Nichts. Weil wir schon im normalen Finanzausgleich vier Milliarden Mark für andere Länder aufbringen. Das ist viel Geld. Wir sollten nicht auch noch in den Einzeletats einen gleichmacherischen Anspruch verfolgen.