Neues aus Garagehausen

Mit den White Stripes soll schon wieder eine Band die Rockmusik retten  ■ Von Gregor Kessler

„The year that punk broke“ ist ein Jahr, das viele Jahre sein kann. Es ist sogar ein Jahr, das nahezu jedes der letzten 25 gewesen sein kann. Malcolm MacLaren wird mit 1976, Sonic Youth mit 1991 und Offspring mit 1994 antworten. Auch für die restlichen 22 Jahre wird man Fürsprecher finden. Besonders leicht ist dies seit einiger Zeit für das Jahr 2001. Denn nach den Strokes gibt es dafür jetzt ein weiteres Konsens-Argument: The White Stripes.

Dabei spielen Jack und Meg White doch eigentlich gradlinigen, bodenständigen Garagen-Rock im ungepflügten Rock'n'Roll-Land zwischen Sonics und Gories, angereichert mit einer Familienportion Blues. Nicht mysteriöser also als Legionen von Bands, die in den letzten Jahrzehnten R'n'R-Traditionen überlieferten. Aber, und hier fängt das Geheimnis an, das Duo The White Stripes kam mit seinen unverputzten Song-Skeletten zwischen Blues und Garage-Punk in den letzten Wochen auf die ersten Seiten jedes größeren Musikmagazins des Planeten. Was ist anders als bei den anderen?

Darauf gibt es viele Antworten. Um sich nicht im üppig sprießenden Erklärungsdickicht zu verlieren, bleiben wir zunächst beim Konkreten. Der Besetzung beispielsweise. Das sind Jack White an Gitarre und Mikrofon, eher selten an Klavier oder Orgel, und Meg White hinter dem Schlagzeug. Gerne stellen sie sich selbst als Bruder und Schwester vor, was eine schöne Vorstellung, aber nicht unbedingt die Wahrheit ist. Eine andere Version besagt, die beiden Mittzwanziger wären ein geschiedenes Ehepaar. Zu stimmen scheint hingegen, dass Jack als jüngstes von zehn Kindern in Detroit aufwuchs und im jungen Alter von 19 erleuchtet wurde: „Ich hörte zum ersten Mal Son House ÄUrvater des Deltablues, 1902–1988Ü und ärgerte mich darüber, die 19 Jahre zuvor ohne diese Musik verschwendet zu haben.“ Seitdem ist Jack ein Blues-Junkie.Und ein Purist. Für jene Abwandlungen der reinen Blues-Lehre, mit der die Rolling Stones Mitte der Sechziger pubertierende Briten zum Hyperventilieren brachten, hat er keinen Sinn. „Was diese Leute in den Sechzigern spielten, elektrischen Blues also, habe ich nie gemocht“, sagt er abschätzig in einem Interview – und ahnt wohl, dass er sich mit solchen Aussagen ans eigene Bein pinkelt. „Manchmal fühle ich mich schlecht, weil es so aussieht, als würden wir genau das machen. Doch dann scheint es mir wieder wie das Natürlichste auf der Welt.“ Er muss das sagen. Schließlich ist die Musik seiner Band nicht weit entfernt vom schmutzigen, lauten Rhythm'n'Blues der frühen Stones, reduziert auf ein kratziges Gerüst aus Gitarre und Schlagzeug und herausgeschleudert mit der unmittelbaren Kraft des Punkrock.

Und doch glaubt man White, den frühen Blues besser verstanden zu haben als etwa ein Keith Richards. „Ich bevorzuge den akustischen Blues“, betont White, „er ist einfach, rein und ehrlich.“ Natürlich ist das retro, ist das wertkonservativ, doch wer einmal Charley Patton gehört hat (dem gerade ein unglaublich luxuriöses 7-CD-Set gewidmet wurde), der wird wissen, dass eine akustische Gitarre und ein paar Stimmbänder ebensoviel Wut, Frustration und Ärger transportieren können, wie „Holidays In The Sun“ von den Sex Pistols.

Aber die White Stripes können auch anders. Sie können auch Balladen spielen. Jedenfalls etwas, dass entfernt an eine Ballade erinnert. Denn mit Jack Whites immer knapp daneben liegender Stimme, die sich in den Höhen überschlägt und die Tiefen nicht ausfüllen kann, mit Meg Whites ebenso kräftigem wie primitivem Schlagzeugspiel, das klingt, als hätte Moe Tu-cker eine Protein-Kur hinter sich, erinnert auch die zarteste Fingerpicking-Gitarre an die Ruhe vor dem Sturm. In den meisten Fällen ist sie das dann auch. Denn die White Stripes haben mit musikalischen Schnörkeln nicht viel im Sinn.

Dieses Weniger-ist-mehr macht schließlich einen Teil der Qualität des Duos aus. Der andere ist, es nicht bei der Reduktion zu belassen. Denn während ihre Mittel alles andere als üppig sind, so sind es die Ausdrucksfacetten der Musik allemal. Wütende Musik wütend klingen zu lassen, ist nicht schwer. Aber einer modernen und gleichzeitig undressierten Form des Blues hinter garstigen Gitarren und prügelndem Schlagzeug die Wehmut und das Verlangen seiner 80 Jahre alten Vorbilder zu erhalten, das ist etwas besonderes.

Sonntag, 21 Uhr, Molotow