Parallelmontagen und blauer Dunst

■ Nach langer Zeit wieder im Kino: Alain Resnais erprobte 1993 mit den Filmen Smoking und No Smoking ausgiebig die Möglichkeiten von Wille und Zufall

Uralte Frage: Ist der Mensch frei oder ist er es nicht? Handelt er aus eigenem Willen oder nicht? Und wenn nicht, hat er dann sein Glück und Unglück zu verantworten? Oder bleibt er einem undurchschaubaren Mechanismus überlassen, der ihn mal mehr, mal weniger freundlich durchs Leben schubst?

Nicht allein die Philosophie plagt sich, seit sie Zeugnis ablegt, mit dieser Frage. Auch die großen Erzählformen Mythos und Sage lavieren ihre Heldinnen und Helden hindurch zwischen Autonomie und Vorsehung. Freilich soll der Mensch Meister seiner Entscheidungen sein, aber, bittschön, einen gepflegten Schicksalsglauben lassen wir uns ungern nehmen. Für den Fall, das gar nichts mehr geht, erfinden die antiken Griechen den Deus ex Machina, der vom Bühnenhimmel herunter Weisung erteilt. Auch keine überzeugende Lösung.

Dabei ist alles so viel einfacher und die Antwort kürzer, als es dauert, eine Zigarette anzustecken: Letztlich ist es egal. Irgendwie kommt es immer – und immer anders. Der Dramatiker Alan Ayckbourn hat das begriffen und schickt die Figuren seines Stücks Intimate Exchanges an insgesamt acht Theaterabenden wiederholt zurück an Weichenknoten der Erzählung. Kleinste Änderungen initiieren dort eine Vielzahl grundverschiedener Enden, unter denen das Publikum sich den jeweiligen Favoriten aussuchen kann. Hochzeit oder Begräbnis? Affäre oder wahre Liebe? Und alles wegen einer einzigen Zigarette, die die Schuldirektorsgattin Celia Teasdale mal raucht, mal nicht raucht.

In Zeitschleifen, Parallelmontagen, Rückblenden fühlt sich kein Medium ähnlich wohl wie der Film, und 1993 arrangiert auteur Alain Resnais Ayckbourns Stück schön übersichtlich für die Leinwand. Das titelgebende Suchtverhalten unterteilt das Werk auf nurmehr zwei lange Vorstellungen.Smoking oder No Smoking, das ist hier die Frage guter Kondition. Resnais verstärkt die Konstruiertheit des Plots, indem er uns Theater im Kino vormacht. Die neun Figuren, allesamt kleinbürgerliche Existenzen eines Nestes in Yorkshire, werden von einem einzigen Darstellerpaar in wechselnder Maske gemimt. Die Bühnenbauten erinnern an Oberstufenprojektwoche und das Timing an Auftritt-/Abtrittkomödien im Willy Millowitsch-Style. Resnais gabelt die Episoden immer weiter auf, schlägt diverse Varianten vor bei gleichbleibend artifizieller Inszenierung.

Dieses planvolles Anti-Kino bringt die kaum übersehbare Banalität der allermeisten unserer Handlungen in Stellung – gegen ehrfurchtgebietende Entweder-oder-Fragen. Resnais unaufdringliche Ironie löst sie auf zu blauem Dunst. Wenn sich an Kleinigkeiten bereits unser Leben entscheidet, wird die Sorge, wo der Wille endet und der Zufall beginnt, gegenstandslos. Erst mal eine rauchen. Oder?

Urs Richter

Smoking: Fr, 21.15 Uhr (auch Fr, 29.11., 21.15 Uhr); No Smoking: Sa, 21.15 Uhr (auch Sa, 30.11., 21.15 Uhr), Metropolis