Angst machen Kino

Der Fassbinder schickt Leute durch den Schlamassel: Händler der vier Jahreszeiten und Angst essen Seele auf mit frischen Kopien in der Retrospektive im Zeise  ■ Von Gerd Bauder

Der Fassbinder, der hat immer so statische Figuren: die sind ganz Schicksal, ganz Produkt der Verhältnisse und man ahnt höchstens, dass in denen drin mal so was wie Träume waren. Verbittert, voller Hass und hysterisch sind die. Und dann gibt's sozusagen als Gegenpol aus der Mitte dieser kaputt gemachten und kaputt machenden Menschen heraus eine Figur, der plötzlich durch etwas Unvorhersehbares klar wird, wie beschissen die Verhältnisse sind. Dieser Figur fällt dann gemeinsam mit den Zuschauern auf, es geht nur ums Funktionieren: als Arbeitsmaschine, Gesellschaftsmitglied, Ehepartner.

Der Hans, der Händler der vier Jahreszeiten, ist so eine Figur. Der steckt derart tief im Schlammassel, dass er es erst gar nicht merkt. Tag für Tag rackert er als Gemüsehändler. Ansonsten tut er nichts außer Saufen und sich mit der Frau streiten. Eines Nachts vergewaltigt er sie. Als sie dann am nächsten Tag mit der Scheidung droht, kriegt er einen Herzinfarkt. Dabei ist er eigentlich höchstens vierzig oder so. Aber der ist so fertig, das gibt's gar nicht.

In Rückblenden erinnert sich Hans mit dem Publikum: an seine Mutter, die ihn aufs Gymnasium zwang und der er es nie recht machen konnte. An seine „große Liebe“, die ihn zurückwies, weil er nichts besaß. Und an sein berufliches Scheitern, als korrumpierter Polizeibeamter und als traumatisierter Fremdenlegionär.

Das ist nichts, worauf einer ein Selbstbewusstsein aufbauen könnte. Und das dämmert dem Hans allmählich. Komischerweise genau zu dem Zeitpunkt, als alles gut zu werden scheint, da nach Hansens Genesung die Frau zurückkehrt und das Geschäft zu florieren beginnt. Hans indes verfällt in Depressionen: Wozu das alles? Das ist eine berechtigte Frage. Denn nach wie vor hat niemand ein Interesse an den Bedürfnissen der nahe stehenden Menschen oder hört auch nur dem anderen mal zu.

Ein trauriges Bild von der Welt malt der Fassbinder. Obendrein erzählt er auch noch in einem unglaublich langsamen Tempo. Nichts bewegt sich außer der Kamera. Die fährt gerne von der Halbtotalen auf die Gesichter der Figuren und wieder zurück. Oder verweilt gleich in den Tableaus: starre Figuren sitzen sich in Wirtshäusern oder bei Familienfeiern stumm gegenüber. Keine Musik, keine Freude ist zu hören. Gesprochen wird höchstens Unsinn: Wer verdient wieviel, wer ist woran schuld, früher war's besser. Hans fühlt sich gar nicht mehr wohl. Heute würde man sagen: Er braucht Hilfe. Die gibt's aber nicht für Leute wie ihn, die nie gelernt haben zu kommunizieren und wenn sie's dann doch mal versuchen, nur eins drauf kriegen. Bedrückt ahnt man sein Ende voraus. Und als er irgendwann, alleine und lethargisch in seinem Wohnzimmersessel liegend, eingerahmt von Nierentisch, Blumenampel und Fernsehecke, ein letztes Mal den fahlen Versprechungen eines Schlagers lauscht, kriegt man eine regelrechte Wut auf so eine Welt, die den Menschen keinen Raum lässt.

In so einer engen Welt lebt auch Emmi in Angst essen Seele auf. Nur weiß sie es nicht genau – bis sie Ali kennen lernt. Weil sie sich in den verliebt, heiratet sie ihn. Ganz naiv, so als würde in einem faschistoiden Umfeld eine Sechzigjährige, die einen dreißig Jahre jüngeren Ausländer heiratet, nicht auf Schwierigkeiten stoßen. So blöd kann man nicht sein, denkt man da beim Zuschauen. Fassbinder sagt aber: Doch, kann man. Weil nämlich alle blöd sind. Die Nachbarn, die Arbeitskollegen und die Kinder von Emmi sowieso, aber auch Emmi und der Ali selber. Sie, weil sie aus einer Zeit und Welt stammt, in der nicht gedacht wurde und Emmi gar nichts weiß von ihrer rassis-tischen Konditionierung. Da kapiert sie überhaupt nicht, dass sie Ali weh tut, als sie ihn ihren Freundinnen vorführt und sie auffordert, seine Muskeln anzufassen. Der Ali wiederum ist blöd, weil er nicht überlegt, ob's überhaupt Sinn macht für ihn, die Emmi zu heiraten. Nicht nur weil er Lust auf junge Frauen hat, sondern auch, weil er eben reflektieren kann, dass es zwischen beiden eine Menge Missverstehen gibt. Auch ist er gemein zu ihr: Einmal besucht sie ihn auf der Arbeit. Er verleugnet sie und lacht mit den Kollegen, als jemand Emmi als Alis Oma verspottet. Doch während er da dämlich grinst, senkt er schon beschämt den Kopf. Da hat Fassbinder die Wahrheit plötzlich festgehalten für einen Moment. Und Emmi und Ali ganz menschlich gemacht. Denn er zeigt sie dämlich und schwach, aber bereit zu sprechen und es trotz allem miteinander zu probieren. Das unterscheidet sie von den anderen, die kaputt und stumm sind und deren Seelen die Angst längst aufgegessen hat. Das Zeise zeigt den Film im Dezember.

Händler der vier Jahreszeiten: Do, 15 Uhr, Fr, 17.30 Uhr, So, 11 Uhr + 22.30 Uhr, Mo, 20 Uhr; Angst essen Seele auf läuft vom 6.-12.12., Zeise