Dumme Diskurse

■ Ilse Lau und Victims Family spielen im Schlachthof – letztere wurden heftig attackiert

Die „Jazz-Core“-Band Victim's Family wurde jüngst Opfer einer kruden Attacke: Anlässlich ihres Comeback-Albums „Apocalicious“ bekamen sie in einem Magazin für „Musik und so“ dermaßen einen verplättet, dass man sich bald nicht traut, ihre Konzerte zu besuchen – zum Beispiel heute abend im Schlachthof-Magazinkeller.

„Die musikalische Entwicklung der letzten zehn Jahre hat Victim's Family geschluckt und lässt sie inzwischen nach genau dem MTV-Retorten-Sound klingen, gegen den sie einst opponierten“, schreibt Martin Büsser – ein regelrechter Unsinn. Ihm zufolge taugt Victims Family nicht mehr als Maßstab für Innovation. Dabei ist die Perspektive gleich die ganz große der politischen Wirkungskraft. Büsser schreibt: „Anfang der Neunziger, als Neonazis die ersten Anschläge und Morde in Rostock und Mölln verübten, hatte Diedrich Diederichsen in seinem Essay ,The Kids Are Not Alright' die These aufgestellt, dass Gefühle wieder faschistisch geworden seien.“

In Folge dessen „sprach er sich für eine Musik aus, die Emotion bewusst destruiert und damit jegliche Form von falsch verstandener ,Community' verhindert.“ Und ausgerechnet das also sollen Victims Family vor zehn Jahren geleistet haben.

Warum Gefühle als solche (auch noch: „wieder“) „faschistisch“ sein sollen, weiß vielleicht Ted Gaier, Büsser jedenfalls gibt keinerlei Hinweise. Diese behauptete Wirkung von Musik, von der auch Zensoren aller Länder auf Grundlage von Manipulationstheorien ausgehen, hat noch niemand schlüssig nachweisen können. Der Zusammenhang wird hier dennoch äußerst interessiert mit kruden Thesen der zitierten Art behauptet.

Mit dieser theoretischen Brechstange wird die nach wie vor herrlich überdrehte Musik aus Core, Funk, Pop und Noise der Victim's Family als „ungemein didaktisch, ja so verkrampft wie für den Musikunterricht geschrieben“ schlechtgeredet. Wer jedoch ganz einfach laute, komplizierte und gewitzte Musik mag, dem und der sei der Besuch empfohlen.

Auch wegen der anderen Band des Abends: Über Ilse Lau wurde an dieser Stelle in letzter Zeit öfter und zu Recht lobend gesprochen. Andreas Schnell

Am Donnerstag, 20 Uhr im Schlachthof-Magazinkeller